Zehn zärtliche Kratzbürsten
gespielt.
Würdevoll schritt die bejahrte Lucia durchs Zimmer und sang ein altes katholisches Lied:
Hell leuchtet
Am Himmel der Mond …
Obwohl Ulla-Maija bereits siebzig war, hatte sie ihre schöne Sin g stimme behalten. Die Stimmung war richtig andä chtig. Der I ndustri e rat drückte einen höflichen Kuss vorn aufs Kleid der Schönen mit der brennenden Krone.
Nun begann Rauno Rämekorpi zu improvisieren und gab jene Strophen der Sternjungen zum Besten, die ihm gerade einfielen. Er stapfte durch den geschmückten Raum und spielte abwechselnd Herodes, den Moriankönig, den Knecht oder den Sternjungen Män k ki. Lucia äußerte keine Kritik, nicht einmal daran, dass der sechzi g jährige Weihnachtsmann rein äußerlich nicht gerade an einen Ster n jungen erinnerte, sondern sie spendete nach Schluss der Darbietung dankbar Applaus.
Nach diesen Showeinlagen begannen Lucia und der Weihnacht s mann ausgelassen herumzutoben. Sie schleuderten das offizielle Programm in die Ecke und sangen wie die kleinen Kinder alte Weihnachtslieder, rannten hintereinander durch den Saal oder tan z ten Ringelreihen. Zwischendurch hielten sie inne, um Glögg zu trinken, Weihnachtshering oder Pfefferkuchen zu essen, und weiter ging's. Der Weihnachtsmann und die gekrönte Jungfrau lachten Tränen über all die Albernheiten, die ihnen einfielen. Sie tobten herum wie kleine Kinder, die vor Erwartung völlig aus dem Hä u schen sind.
Auf dem Höhepunkt des Jubels fiel Industrierat Rämekorpi seine eigentliche Rolle ein, und er donnerte im Befehlston die traditionelle Frage, lediglich ein wenig der Situation angepasst:
Rauno: Sind hier brave Weiber?
Ulla-Maija: Ja, ja!
Rauno nahm ihr vorsichtig die Krone aus dem Haar, blies die schon fast heruntergebrannten Kerzen aus, und dann schlichen der Weihnachtsmann und Jungfer Lucia auf Zehenspitzen ins Schla f zimmer, wo Rauno seine Hosenklappe aufknöpfte und der Gastgeb e rin beim Ablegen ihres Abendkleides half. Nun gab es den ersehnten Höhepunkt des Festes. Zum glücklichen Abschluss ruhte das Paar entspannt in der Krippe, vielmehr im Doppelbett der Bischofswitwe. Ulla-Maija war jetzt ganz ernst, sie schlang den Arm um Raunos Hals und küsste seinen künstlichen Weihnachtsmannbart. Rauno fragte, ob sie traurig sei.
Sie erwiderte, dass sie für diese Feier dankbar sei. Sie sei allein, von den Enkelkindern sei nur eine Weihnachtskarte gekommen, das sei alles.
Ulla-Maija: Die verflixte Verwandtschaft des Feldbischofs e r laubt den Enkelkindern nicht mal zu Weihnachten, mich zu bes u chen. Das ist wirklich hart, aber zum Glück bist du gekommen und hast das Fest mitgebracht. Jetzt bin ich glücklich, obwohl ich traurig bin.
Rauno Rämekorpi geriet ebenfalls in Rührung und dachte an die grausamen Weihnachtsfeste in jenen Jahren, als seine Söhne noch klein waren. Nach der aufreibenden Ehescheidung hatte seine Frau ihm nicht erlaubt, die Kinder zu sehen, und zu jener Zeit gab es kein Gesetz, das bei der Scheidung die Rechte des Vaters wahrte. Eigen t lich gab es das sogar, aber die Sozialbehörden handelten nicht danach.
Der junge Vater hatte seinen ehemaligen Nachbarn bestochen und ihn überredet, mit ihm die Rollen zu tauschen, denn der Nachbar hatte zugesagt, bei Raunos Kindern als Weihnachtsmann aufzutreten. Also die Maske aufs Gesicht und rein zu den Kindern.
Rauno: Da saß ich dann wortlos länger als eine Stunde, hielt die Kinder auf den Knien, verteilte Geschenke und hörte zu, wie sie sangen, und ich hatte den Eindruck, dass sie mich sehr mochten.
Die Exfrau hatte dem Weihnachtsmann einen Kuss gegeben und erst da gemerkt, wer sich bei ihr eingeschlichen hatte. Der Vater und geschiedene Mann hatte stillschweigend seinen leeren Sack über die Schulter geworfen und war in die Frostnacht hinausgegangen. Er hatte in seiner öden Bude ein einsames Weihnachten verlebt.
Ulla-Maija sagte mitleidig seufzend, dass auch Raunos Leben nicht nur romantisch gewesen war. Wie traurig! Sie selbst war immer sehr gefühlvoll gewesen, hatte aber nicht das verdiente Echo b e kommen. Das Leben war so durch und durch hart und prosaisch, dass es sie richtig wütend machte.
Als junges Mädchen hatte sie sich in Rovaniemi in einen schm u cken Burschen verliebt, einen Studenten, aber beider Familien waren gegen eine Ehe gewesen. Die Verliebten hatten beschlossen zu fliehen, weit weg in die Fremde. Ulla-Maija hatte einen romantischen Brautraub geplant, aber das ganze schöne Vorhaben war vollends
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