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Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall

Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall

Titel: Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Richtungen um, dann huschte er über den Weg. Hinter einem Spalier junger Fichten hatte er ein Loch in den Wildzaun geschnitten, das er mit einem Stock provisorisch verschlossen hatte. Immer, wenn er diesen Ort erreichte, beschleunigte sich sein Puls und er begann zu schwitzen.
    Er war ein pensionierter Finanzbeamter, der auch im privaten Bereich als rigoroser Verfechter von Gesetz und Ordnung auftrat. Deshalb wurde er stets von gewaltigen Gewissensbissen geplagt, wenn er sich auf diese Weise illegalen Zutritt zu einem eigentlich für ihn gesperrten Waldbereich verschaffte. Diesmal gesellte sich noch die Angst vor einem gefährlichen Konkurrenten hinzu, der vielleicht schon in sein Revier eingedrungen war und dort womöglich gerade die schönsten Pfifferlinge abschnitt. Zumal dieser Wilderer ihn auch noch bei einer Gesetzesübertretung ertappen konnte.
    Aber die Gier nach den kleinen gelben Köstlichkeiten war einfach stärker als alle seine Skrupel. Er zog den Stock aus dem grobmaschigen Drahtgeflecht und zwängte sich durch den Spalt. Mit hektischen Blicken sondierte er den in Reihen angepflanzten, inzwischen etwa oberarmdicken Jungeichenbestand.
    Nachdem er niemanden ausmachen konnte, wandte er sich erleichtert der Pilzsuche zu. Aber diesmal war er bedeutend nervöser und fahriger als sonst. Die kalte Angst vor diesem unbekannten Eindringling lag ihm wie ein Eisbeutel im Nacken, ließ ihn trotz der angenehmen Temperaturen frösteln.
    Es dauerte nicht lange und schon blitzten im braunen Eichenlaub die ersten dottergelben Pfifferlinge auf. Zuerst fand er nur vereinzelte Exemplare, doch je weiter er in die Eichenschonung eindrang, umso reichlicher wurde er von der Natur beschenkt.
    Er traute seinen Augen kaum, als er einen gelben Hexenkreis entdeckte, der gut einhundert Pilze zählte. Da er noch immer große Angst vor Entdeckung hatte, beeilte er sich beim Ernten. Er ging dabei so hektisch vor, dass er sich in den Finger schnitt. Fluchend wickelte er ein Taschentuch um die stark blutende Wunde.
    Der Schweiß lief ihm in Strömen das Genick hinunter. Er füllte die beiden Jutetaschen bis oben hin mit Pfifferlingen. Das reichte dicke für das Festmahl. Im Sitzen blickte er sich noch einmal um und lauschte in den Wald hinein. Anschließend erhob er sich und suchte die Hosenbeine nach Zecken ab. Er fand zwei Weibchen, die er mit dem Daumen der unversehrten Hand wegschnippte.
    Gerade als er das Zaunloch mit dem Stock flickte, hörte er einen Schuss. Er kam eindeutig aus Richtung des etwa zwei Kilometer entfernten Sportplatzes.

15
    Nach dem ungeliebten Mittagessen in der Kantine hatte sich Wolfram Tannenberg in sein Büro zurückgezogen. Im Lagezentrum war es ihm inzwischen zu laut und hektisch geworden. Seitdem die Pressestelle am Morgen die Medien über die dramatische Entwicklung informiert hatte, ging es bei der SOKO ›Sniper‹ drunter und drüber. Der öffentliche Druck auf die Ermittler wurde immer stärker. Dieselben Kommentatoren, die noch Stunden zuvor Tannenberg und sein Team in den allerhöchsten Tönen gelobt hatten, fielen nun erbarmungslos über sie her.
    Die Bevölkerung hatte auf den neuerlichen Mordanschlag zunächst wie paralysiert reagiert. Doch schon bald standen die Telefone der SOKO-Mitarbeiter nicht mehr still. Von den Medien aufgestachelt, hagelte es geradezu Vorwürfe und wüste Beschimpfungen. Zudem sahen sich die hilflosen Beamten mit den massiven Ängsten der Bürger konfrontiert, die sich nicht mehr auf die Straße trauten.
    Vermeintlich sachdienliche Hinweise bezüglich des gesuchten Täters gingen zwar waschkörbeweise ein, doch deren nähere Überprüfung hatte bislang nichts anderes als heiße Luft zutage gefördert. Es gab immer noch keine einzige heiße Spur zu dem mysteriösen Serienmörder. Der sogenannte ›Sniper‹ schien unsichtbar zu sein.
    Tannenberg plagten starke Kopfschmerzen. Er fühlte sich müde, ausgelaugt und überfordert. Mit hängendem Kopf saß er hinter seinem Schreibtisch und spielte gedankenverloren mit einem Bleistift. Ab und an blähte sich sein Brustkorb auf und produzierte einen heftigen Stoßseufzer. Selbstzerstörerische Gedanken nagten an seinem sowieso schon stark lädierten Gemüt.
    Ich bin diesem Horror-Fall einfach nicht gewachsen, sprach er tonlos mit sich selbst. Ein anderer an meiner Stelle wäre sicherlich bedeutend erfolgreicher gewesen. Ich war viel zu passiv und träge. Er schnaubte abschätzig. Und ich bin viel zu borniert, um es mit diesem

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