Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
ausgefuchsten und abgebrühten Mistkerl aufnehmen zu können. Der ist mir bei Weitem überlegen.
Ich hab das Muster hinter den Anschlägen nicht verstanden. Dabei war es doch gar nicht so schwer zu entschlüsseln. Und außerdem war ich viel zu naiv. Denn ich habe diesen Maulwurf in unseren eigenen Reihen nicht erkannt. Ich habe ihn zu Kronenberger geführt, zu unserem Top-Informanten. Wenn ich mich doch bloß geschickter und professioneller verhalten hätte. Er seufzte wieder und schüttelte den Kopf.
Kronenberger hätte sich bestimmt der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung gestellt. Tannenberg schlug die Hände vors Gesicht. Jetzt ist er tot und ich habe ihn auf dem Gewissen! Weil mich meine Menschenkenntnis im Stich gelassen hat. Er schniefte und schluckte hart.
Rainer hat vollkommen recht. Dieser Zörntlein, oder wie immer er auch in Wirklichkeit heißen mag, hat mir unglaublich imponiert. Er war mir auf Anhieb sympathisch, ja, ich bin richtiggehend auf ihn abgefahren. Dabei hat er uns nur ausspioniert. Und mich hat er benutzt, betrogen – auf der ganzen Linie verarscht.
Was hat er sich nicht alles für uns bescheuerte Provinz-Bullen einfallen lassen: Die Haare des mutmaßlichen Täters auf der Kugel, der plötzliche Selbstmord eines vermeintlichen Täters, der letztendlich nicht Täter, sondern selbst Opfer war, das hinterhältige Attentat auf Kronenberger und mich. Wer weiß, welche falschen Fährten er sonst noch gelegt hat, was und wen er sonst noch manipuliert hat.
Ich war seine Marionette. Der SOKO-Leiter trommelte sich mit beiden Händen seitlich auf den Kopf. Wie kann man nur so blöd sein? Wieso konnte mir so etwas passieren? Ich glaube, ich bin allmählich zu alt für meinen Job.
Mitten in diesen depressiven Schub hinein platzte der Anruf seines Vaters. Jacob verkündete ihm, dass er gerade eine sensationelle Entdeckung gemacht habe und Tannenberg sofort nach Hause kommen müsse. Normalerweise hätte er dieses Ansinnen mit ein paar barschen Worten abgebügelt.
Aber diesmal kam ihm dieser äußere Impuls ausgesprochen gelegen. Zum einen, weil er ziemlich abgespannt und verschwitzt war und dringend eine Erfrischung in Form einer Dusche benötigte. Und zum anderen, weil er sich merkwürdigerweise ausgerechnet in diesem Moment an den frischgebackenen Hefezopf erinnerte, mit dem ihm seine Mutter schon am Morgen den Mund wässrig gemacht hatte.
Aus einem fadenscheinigen Grund verließ er das K 1 und schlenderte zur Beethovenstraße. Auf dem knapp fünfminütigen Weg dorthin begegnete ihm nicht ein einziger Fußgänger oder Radfahrer.
Als Tannenberg an der Ecke zur Richard-Wagner-Straße auftauchte, winkte ihm Jacob bereits vom Küchenfenster aus entgegen. Er ging auf den Bürgersteig und trippelte ungeduldig auf der Stelle herum. Nachdem sein Sohn endlich bei ihm eingetroffen war, packte er ihn am Arm und zog ihn durch die Haustür, dann die Treppe hoch und schließlich in die elterliche Küche hinein. Auf dem Tisch ausgebreitet lag eine Wanderkarte, auf der mit einem Wachsmalstift ein rotes Koordinatenkreuz aufgemalt war.
»Na, was sagst du jetzt, Junior? Ist das nicht der Hammer«, präsentierte Jacob seine detektivische Meisterleistung. »Euer Sniper«, er sprach das englische Wort wieder so aus, wie es geschrieben wird, »mordet nach einem festgelegten Schema. Alle Tatorte liegen auf diesem Fadenkreuz«, stieß er mit sich überschlagender Stimme hervor. »Und der macht bestimmt auf diese Tour weiter.«
Tannenberg legte dem Hobbykriminalisten eine Hand auf die Schulter. »Beruhige dich, Vater. So weit sind wir schon lange«, flunkerte er. »Wir ziehen morgens die Hosen ja nicht mit der Kneifzange an, auch wenn du das anscheinend noch immer glaubst.«
Jacob schob enttäuscht die Unterlippe vor. »So, das wisst ihr also schon.«
»Ja, da ist unser Sherlock Holmes aus der Beethovenstraße diesmal ein bisschen zu langsam gewesen.«
»Und was wisst ihr sonst noch über den Sniper?«
»Vater, ich kann dir wirklich nichts über den aktuellen Stand unserer Ermittlungen sagen.«
»Papperlapapp! Wenn du wolltest, könntest du schon. Aber du willst nicht – das ist doch der springende Punkt«, empörte sich der Senior. Er stemmte die Arme in die Hüften und warf seinem Sohn einen giftigen Blick zu. »Weil du meinst, ich würde deine Dienstgeheimnisse im Tchibo ausplaudern.«
»Das hast du ja auch bestimmt schon oft genug getan.«
»Nein, das ist eine gemeine Lüge!«, blökte Jacob.
Weitere Kostenlose Bücher