Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
»Du hast nicht den geringsten Beweis für solch eine böswillige Unterstellung. Oder hast du mich schon mal in flagranti ertappt, he?« Seine beiden Halsschlagadern hatten inzwischen die Ausmaße von dicken Regenwürmern angenommen.
»Nicht so laut, das hört ja die ganze Straße«, zischte Margot und verschloss geschwind das Küchenfenster.
Kurt, ein von Natur aus harmoniebedürftiges Lebewesen, fing aus Protest zu bellen an und schob seinen massigen Hundekörper zwischen die beiden Streithähne. Dann setzte er sich auf die Hinterbeine und kratzte jaulend mit der Pfote an Tannenbergs Bein herum.
»Schluss jetzt! Hör sofort auf, Wolfi zu ärgern!«, richtete Margot ein Machtwort an ihren Ehemann. »Lass ihn endlich in Ruhe, Jacob. Der arme Kerl hat wirklich schon genug um die Ohren. Der braucht nicht auch noch zu Hause Ärger. Setzt euch lieber hin und esst Kuchen. Das ist gut für die Nerven.«
Sie schenkte Kaffee ein und schnitt den Hefezopf in gleichgroße Stücke. Anschließend streichelte sie ihrem Sohn sanft über die Wange.
»Unser armer Wolfi braucht etwas zum Wachhalten und eine anständige Unterlage für seine anstrengende Arbeit«, sagte sie seufzend und wies auf ein Metallkästchen mit Wachsmalstiften, auf dem rechts oben in der Ecke der Name ›Wolfi Tannenberg‹ stand. »Das sind deine. Die hast du damals in der Grundschule benutzt.«
»Schlag dich nur mal wieder auf die Seite deines Lieblingssohns«, blaffte Jacob. »Der hat doch überhaupt keinen Respekt mehr vor seinem alten Vater. Und du unterstützt ihn auch noch.«
»Das stimmt doch überhaupt nicht. Und das weißt du ganz genau. Komm, wir vertragen uns wieder«, schlug Tannenberg in versöhnlichem Ton vor, während er sich auf einen Küchenstuhl setzte.
Der Senior zeigte sich unbeeindruckt von dieser Friedensofferte. Er legte ein großes Stück Hefezopf auf seinen Teller, schnappte sich seine gefüllte Henkeltasse und drückte sich in die Höhe.
»Komm, Kurt, wir gehen«, befahl er. Dabei hob er pikiert die Brauen und rümpfte die Nase, so als ob er gerade einen üblen Geruch wahrnehmen würde.
Aber der Mischlingshund wich seinem Herrchen nicht von der Seite. Brummend legte er Tannenberg den schweren Kopf auf den Oberschenkel und nötigte ihn zu einigen Streicheleinheiten. Nun reichte es Jacob vollends und er verzog sich grummelnd in den Keller zu seiner Modelleisenbahnanlage.
Nach zwei dick mit Butter bestrichenen Hefezopf-Stücken und einer beträchtlichen Menge Kaffee fühlte sich Wolfram Tannenberg wie neugeboren. Verfolgt von seinem treuen, tapsigen Hund ging er hoch in seine Wohnung und stellte sich unter die Dusche.
»Wolf, wo bist du denn?«, hörte er plötzlich Johanna von Hohenecks Stimme, die gerade von ihrer Arbeitsstelle zurückkehrte. Sie arbeitete als Historikerin im Institut für Pfälzische Geschichte und Volkskunde am Benzinoring.
»Hier im Bad«, rief er zurück. Dann schnappte er sich ein Handtuch und stapfte aus der Duschwanne.
Als er seine Herzdame sah, erschrak er. Sie war grau im Gesicht und hatte rote, verweinte Augen.
»Oh, Gott, Hanne, was ist denn passiert?«
Ohne Rücksicht darauf, dass er noch nicht abgetrocknet war, warf sie sich ihm an den Hals und umklammerte ihn mit einem festen Griff.
Während sich zu Tannenbergs Füßen eine Wasserlache bildete, streichelte er sanft über ihren Kopf. »Aber was hast du denn?«, fragte er betroffen.
»Ich hab solche Angst«, gab Hanne zurück. Sie zitterte am ganzen Körper. »Mich hat eben ein Auto verfolgt. Da bin ich mir ganz sicher. Vielleicht hat es der Sniper auf dich – und auch auf uns abgesehen. Heute Mittag habe ich im Internet gelesen …« Sie schluchzte auf und atmete stoßartig.
»Was hast du gelesen?«
»Ich hab mich über Serienkiller informiert. Viele von ihnen haben ihre Aggressionen irgendwann gegen den Chef-Ermittler und dessen Familie gerichtet.«
Da hab ich ja noch mal richtig Glück gehabt, dass dieser Jäger nicht mich, sondern eine Wildsau aufs Korn genommen hat, dachte Winfried Gerster erleichtert. Voller Stolz hüpften seine Augen abwechselnd zwischen den beiden mit Pfifferlingen prall gefüllten Jutetaschen hin und her. Das wird morgen ein Festschmaus werden.
Plötzlich hörte er schräg hinter sich ein knackendes Geräusch, dem gleich darauf weitere folgten. Hoffentlich ist das keine angeschossene Wildsau, war sein erster Gedanke. Erschrocken wandte er sich zur Geräuschquelle hin.
Doch was er nun sah, war weitaus
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