Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
fast zu platzen. Er hielt sich jedoch mit weiteren Fragen zurück und wohnte dem Dialog der beiden schweigend bei.
Der Interpol-Beamte mit dem Decknamen ›Johannes Zörntlein‹ kniete sich vor Johns Kopf nieder. »Und das ist also der geheimnisvolle Sniper«, sagte er kopfschüttelnd. Sein Blick fiel auf den großen Wanderrucksack. »Ist da seine Waffe drin?«
»Ja«, antwortete Tannenberg.
»Habt ihr den Rucksack durchsucht?«
»Ja, sicher, ich hab mal kurz reingeguckt.«
»Aber nichts rausgenommen, oder?«, fragte Zörntlein mit einem süffisanten Lächeln.
»Nein, wo denkst du hin, da muss doch erst mal unsere Spusi ran.«
Zörntlein richtete sich auf und machte anschließend eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, nein, vergiss es. Das erledigen meine Kollegen.«
Er stemmte sich in die Höhe, trat zwei Schritte zurück und winkte von der Einstiegstreppe aus in Richtung der Fackelstraße. Kurz darauf erschienen vier in Ganzkörperanzüge gehüllte Männer. Sie führten einen schwarzen Leichensack mit sich.
Von Tannenbergs und Dr. Schönthalers staunenden Blicken begleitet bauten sich zwei der bodyguardähnlichen Gestalten vor ihnen auf und drängten sie in den Flur zum Fahrersitz hinein. Die beiden anderen deponierten derweil den Leichensack auf dem Boden, hoben Johns Leichnam an und legten ihn in den Leichensack. Sie gaben den Rucksack dazu, zogen den Reißverschluss hoch und transportierten den Plastiksack ab.
»Was, was soll das denn?«, protestierte Tannenberg.
»Keine Panik, Wolf, wir führen lediglich eine Order von ganz oben aus.«
Zörntlein zog ein Schreiben aus der Tasche und hielt es dem staunenden Kriminalbeamten unter die Nase. Es war von Oberstaatsanwalt Dr. Hollerbach unterzeichnet und beinhaltete die Anordnung zur sofortigen Übertragung der Zuständigkeit für diesen Fall an nicht näher bezeichnete übergeordnete Dienststellen.
»Seid doch froh, dass ihr mit dieser blöden Sache nichts mehr zu tun habt«, sagte Zörntlein und klopfte dem Leiter der SOKO ›Sniper‹ auf die Schulter. »Es gibt eben gewisse Interessenlagen, die haben absolute Priorität.«
»Ach, wisst ihr was, leckt mich doch alle!«, grollte Tannenberg.
Er wandte Zörntlein den Rücken zu und trat aus dem Bus. Dr. Schönthaler folgte ihm auf dem Fuße. Doch dann blieb er plötzlich so abrupt stehen, dass sein Freund von hinten auf ihn auflief. Er drückte ihn zur Seite und ging zurück zu dem Interpol-Experten.
»Wie heißt du denn eigentlich richtig?«
Der angebliche Johannes Zörntlein grinste ihn breit an: »Ach, weißt du, mein lieber Wolf, Namen sind Schall und Rauch in unserem Geschäft. Da zählen nur die Taten.«
In Tannenbergs Hirn wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Kopfschüttelnd stieg er aus dem Linienbus. Dr. Schönthaler legte ihm den Arm auf die Schulter und führte ihn weg.
»Komm, mein alter Junge, wir suchen uns jetzt ein lauschiges Plätzchen in einem schönen Biergarten und dann baue ich dich mental wieder auf«, schlug der Gerichtsmediziner mit sanfter Stimme vor.
»Das wird dir heute nicht mehr gelingen«, seufzte Tannenberg.
»Na, ja, warten wir’s mal ab.«
In einer Seitenstraße der Fußgängerzone kehrten die beiden in eine urige Kneipe mit Innenhof ein. Da es inzwischen ziemlich kühl geworden war, hatten sie den gesamten Biergarten für sich alleine. Dr. Schönthaler verzog sich eine Weile auf die Toilette. Als er zurückkehrte, servierte die Bedienung gerade zwei Hefeweizen und eine riesige Hausmacherplatte. Während er es sich schmecken ließ, stocherte sein Freund nur lustlos in dem Sauerkrauthügel auf seinem Teller herum.
»Jetzt iss doch endlich mal was. Sonst wird ja alles kalt«, forderte der Kaiserslauterer Rechtsmediziner, der sich bester Laune zu erfreuen schien.
Ganz im Gegensatz zu Wolfram Tannenberg, der von Minute zu Minute deprimierter wurde.
»Dein Handy«, kommentierte Dr. Schönthaler das summende Geräusch in der Brusttasche des Kriminalbeamten.
Mit ausdrucksloser Miene zog Tannenberg das Mobiltelefon heraus, schaltete es ohne einen Blick darauf zu werfen aus und ließ es wieder verschwinden.
»Du bist vielleicht ein alter Kommunikationsmuffel«, lachte der Pathologe.
Nun machte sich sein eigenes Handy bemerkbar. ›Dreckschnüffler ruft an‹ blinkte auf dem Display. Bevor er das Gespräch entgegennahm, lauschte er noch ein paar Takte der ›Spiel-mir-das-Lied-vom-Tod‹-Melodie. Er hatte sie sich irgendwann einmal als Klingelton aus dem
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