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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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gewesen war. Sie hatte ihn natürlich noch im Flugzeug aufgemacht. Er enthielt eine Adresse. Sonst nichts. Damit marschierte sie nun auf den Taxistand zu und zeigte einem Fahrer den Zettel. Der sagte »Si, Señora«, und wartete, bis sie eingestiegen war. Dann fuhr er los.
    Sollte sie jetzt eine Nachricht an Annika schicken? Der Akku ihres Handys reichte noch für eine halbe Stunde. Dann war er wieder alle. Was, wenn der Erpresser etwas davon mitbekam, so wie er anscheinend immer alles in ihrem Leben mitbekam? Ellen sah sich in dem Taxi um. Überwachungskameras gab es hier mit Sicherheit nicht. Die einzige Möglichkeit war, dass der Erpresser ihr Handy abhörte.
    Bei diesem Gedanken wurde Ellen heiß. Hatte der Erpresser vielleicht schon länger nicht nur ihre Wohnung per Webcam beobachtet, sondern auch ihr Handy abgehört? Das würde vieles erklären. Natürlich. Deshalb war er immer im Voraus über ihre Planungen informiert. Zum Teufel, warum war sie nicht früher darauf gekommen? Dieser Kerl hatte sie und die anderen im LKA dermaßen unter Druck gesetzt, dass keiner auf diesen Gedanken gekommen war. Noch einmal würde sie nicht auf ihn hereinfallen. Ein Anruf bei Annika war jetzt nicht mehr drin. Wie gut, dass sie nicht von ihrem Handy aus beim LKA angerufen hatte.
    Sie ließen Ortschaft um Ortschaft hinter sich. Mallorca war erstaunlich groß. Das war Ellen nicht so bewusst gewesen. Wenn sie hier gewesen war, hatte sie sich nur am Meer aufgehalten, um so richtig zu entspannen. Das Land war flach. Immer wieder zogen Olivenhaine vorbei, die Silhouette der Berge kam näher. Wo sie genau war, konnte Ellen nicht feststellen. Die grobe Richtung war Nordosten, ins Innere der Insel. Weg von den Touristenzentren.
    In einem geradezu winzigen Ort hielt der Fahrer an. Er deutete auf ein Café, das einzige am Platz. Ellen stieg aus. Die umliegenden Häuser waren alle zwei oder drei Stockwerke hoch und ließen keinerlei Luxus erkennen. Der Putz war an einigen Stellen abgebröckelt, was aber niemanden zu stören schien. Im Erdgeschoss mancher Häuser befanden sich die üblichen Dorfläden, Kundschaft war nicht zu sehen. Vor dem einzigen Café saßen einige Männer im Schatten einer Palme, alles Einheimische. Die Männer taxierten Ellen mit unverhohlener Neugier. Touristen gab es hier wohl nicht oft. Ellen bestellte einen Cappuccino und setzte sich an einen freien Tisch unter der zweiten Palme. Es geschah – nichts.
    Der zweite Cappuccino ging zur Neige. Immer noch nichts. Die Männer waren gegangen. Sollte Ellen das Café auch verlassen? Sich draußen in der Hitze in dem Dörfchen umsehen? Wieder kam ein Taxi. Der Fahrer parkte neben dem Café. Er blickte sich um und kam dann direkt auf Ellen zu.
    »Ellen Faber?«, fragte er, was er von einem Zettel ablas.
    »Ja.«
    »Mitkommen.«
    Das klang ruppig, aber der Mann lächelte dabei. Ellen stieg ein und fand schnell heraus, dass der Fahrer kein einziges Wort Deutsch konnte. Zu Ellens Leidwesen war das Englisch des Fahrers nur unwesentlich besser als sein Deutsch. Oder zumindest tat er so. Alle ihre Fragen nach dem Ziel der Fahrt beantwortete er mit einer wedelnden Handbewegung.
    Es ging in die Berge hinein. Die Landschaft hätte idyllisch sein können. Rechts und links der Straße wuchsen Zitronen- und Orangenbäume. Zwischen den Blättern hingen leuchtende Früchte, die Luft duftete aromatisch, aber dafür hatte Ellen heute keinen Sinn. Die Straßen wurden immer schmaler, zuletzt fuhren sie auf einem staubigen Weg, der sich an einem Hang entlangwand. Ellen hatte nicht geahnt, dass es auf Mallorca solch einsame Ecken gab.
    Vor einer winzigen Finca war die Fahrt zu Ende. Ellen stieg aus. Ehe sie sich versah, war das Taxi in einer Staubwolke verschwunden.

45
     
    Die Finca schmiegte sich eng an eine Felswand. Es war keine dieser schönen Touristen-Fincas, die Ellen aus Urlaubsprospekten kannte. Sie wirkte eher wie ein gemauerter Schuhkarton. Zwei Fenster rechts und links neben einer ausgebleichten Holztür. Davor eine winzige Veranda mit einer Bank. Keine Blumen, kein Schmuck, nichts. Neben dem Gebäude wuchsen große Oleanderbüsche. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Der Weg, den sie gekommen war, endete vor dem Haus. Offenbar gab es keine Nachbarn.
    Ellen ging langsam zur Finca. Das Sirren der Insekten in der Hitze war das einzige Geräusch.
    Die Tür war nicht verschlossen. Ellen öffnete sie einen Spalt und sah in den Raum. Vielleicht wartete der Erpresser drinnen auf sie. Ob

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