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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Saunders
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einen besonderen Dispens gehofft. Aber nein. Etwas oder jemand Größeres als er verweigerte ihm den standhaft. Da erzählten sie einem, das große Etwas oder der große Jemand würde einen ganz besonders lieben, aber am Ende begriff man, dass die Dinge anders lagen. Das große Etwas oder der große Jemand war neutral. Gleichgültig. Und zerquetschte mit jeder unschuldigen Bewegung Menschen.
    Vor Jahren hatten Molly und er in Der erleuchtete Körper eine Scheibe Hirn gesehen. Ein münzgroßer brauner Fleck war der einzige Makel auf dieser Scheibe Hirn. Mehr hatte es nicht gebraucht, um den Mann zu töten. Der hatte bestimmt auch seine Hoffnungen und Träume gehabt, einen Kleiderschrank voller Hosen und so weiter, ein paar liebe Kindheitserinnerungen: ein Schwarm Kois im Schatten der Weiden im Gage Park zum Beispiel, oder Oma, die in ihrer nach Kaugummi riechenden Handtasche ein Kleenex suchte – so was. Wäre dieser braune Fleck nicht gewesen, hätte der Mann zu den Leuten gehören können, die an ihnen vorbei zum Mittagessen ins Atrium strebten. Aber nein. Er war jetzt hinüber und vermoderte irgendwo, ohne Hirn im Kopf.
    Als er auf die Scheibe Hirn schaute, hatte sich Eber überlegen gefühlt. Armer Kerl. Ziemlich viel Pech, dass ihm das passiert war.
    Molly und er waren ins Atrium geflüchtet, hatten heiße Scones bestellt und einem Eichhörnchen zugeschaut, das sich mit einem Plastikbecher anlegte.
    Wie ein Fötus um den Baum geschlungen, versuchte Eber die Narbe auf seinem Kopf zu ertasten. Versuchte sich aufzurichten. Keine Chance. Versuchte sich am Baum aufzurichten. Seine Hand wollte sich nicht schließen. Er griff mit beiden Händen um den Stamm, verschränkte die Hände an den Handgelenken und zog sich hoch, stützte sich gegen den Baum.
    Wie war das?
    Ordentlich.
    Gut sogar.
    Vielleicht war’s das jetzt. Vielleicht kam er nur bis hier. Er hatte sich vorgestellt, dass er mit gekreuzten Beinen oben auf dem Hügel am Felsen sitzen würde, aber machte das wirklich einen Unterschied?
    Er brauchte jetzt nur noch an Ort und Stelle zu bleiben. Indem er sich zu denselben Gedanken zwang, mit denen er sich aus dem Krankenhausbett getrieben hatte, in den Wagen und über den Fußballplatz und durch den Wald: MollyTommyJodi, die sich in der Küche aneinanderschmiegten, voller Mitleid/Abscheu, MollyTommyJodi, die vor einem grausamen Satz von ihm zurückwichen, Tommy, der seinen dünnen Oberkörper umschlang und hochhob, damit MollyJodi mit einem Waschlappen drunterkamen –
    Dann wäre es geschafft. Dann wäre er sämtlichen zukünftigen Erniedrigungen zuvorgekommen. Und alle seine Ängste wegen der kommenden Monate wären abgehakt.
    Abgehackt.
    Das war’s. War’s das? Noch nicht. Aber bald. Eine Stunde? Vierzig Minuten? Tat er das wirklich? Ja, er tat es. Wirklich? Würde er es zurück zum Auto schaffen, wenn er es sich anders überlegte? Wohl kaum. Da war er nun. Er war da. Die unglaubliche Gelegenheit, alles in Würde zu beenden, lag in seiner Hand.
    Er brauchte nur noch an Ort und Stelle zu bleiben.
    Ich werde von nun an nicht mehr kämpfen.
    Konzentrier dich auf die Schönheit des Teichs, die Schönheit des Waldes, die Schönheit, zu der du zurückkehrst, die Schönheit, die in allem steckt, so weit du –
    Ach, verdammt noch mal.
    Ach du Schande.
    Da war ein Junge auf dem Teich.
    Dicker Junge in Weiß. Mit Gewehr. Und Ebers Mantel.
    Du kleiner Pupser, leg den Mantel hin, schaff deinen Arsch nach Hause, kümmer dich um deine eigene –
    Verflucht. Verflucht noch mal.
    Jetzt klopfte er mit dem Gewehrkolben aufs Eis.
    Man will doch nicht von irgendeinem Kind gefunden werden. Das würde dem einen Schrecken einjagen. Obwohl Kinder andauernd irgendwelches schaurige Zeugs fanden. Einmal hatte er ein Nacktfoto von Dad und Mrs Flemish gefunden. Das war schaurig gewesen. Natürlich nicht so schaurig wie ein grimassierender alter –
    Jetzt schwamm der.
    Schwimmen war nicht erlaubt. Da stand ein eindeutiges Schild. SCHWIMMEN VERBOTEN .
    Der Junge war ein schlechter Schwimmer. Die reinste Strampelorgie da unten. Der Junge sorgte mit seinem Gestrampel für einen schnell größer werdenden schwarzen Tümpel. Mit jedem Strampeln erweiterte der Junge stufenweise den Umfang des schwarzen –
    Er war auf dem Weg nach unten, bevor ihm klar war, dass er sich in Bewegung gesetzt hatte. Junge im Teich, Junge im Teich , lief ihm immer wieder durch den Kopf, während er vorantrippelte. Von Baum zu Baum, so ging es voran. Wenn man

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