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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie McGrath
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Lucas Littlefishs Verwandten eingefunden. Einige plauderten, die meisten aber waren still und aufmerksam. Am Friedhofstor hatte eine kleine Gruppe Reporter Posten bezogen. Otis und Annalisa Littlefish standen mit dem Priester an der Kirchentür. Unter ihren Pelzparkas trugen sie kunstvoll bestickte Kleidung aus Wildleder, an den Füßen feine, handgenähte, mit Fell und Perlen besetzte Mukluks. Von TaniaLee war nichts zu sehen. Detective Truro stand in einem dunkelgrauen Anzug am Rand zwischen den Geisterhausgrabstätten.
    Ein Leichenwagen rollte heran und kam langsam zum Stehen. Die Fotografen am Tor umringten ihn mit hektischem Geknipse und Blitzlichtgewitter. Edie sah, wie Annalisa Littlefish, die am Kircheneingang stand, Tränen fortblinzelte. Zwei Sargträger hoben den kleinen Sarg aus der Befestigung und schritten mit ihm zur Kirche. Edie kam der Gedanke, dass das Ganze irgendwie unstimmig war, es wirkte inszeniert und falsch. Als die Sargträger vorbeikamen, legte Annalisa einen Moment lang ihre Hand auf den Sarg; ihre Lippen zitterten vor Kummer.
    Edie und Derek warteten, bis sich die letzten Verwandten hinter dem Sarg aufgereiht hatten, dann schlossen sie sich an. Am Eingang zur Kirche spürte Edie eine Hand auf ihrem Arm und drehte sich um. Detective Truro.
    «Sie hatte ich hier nicht erwartet.» Er zog spöttisch eine Augenbraue hoch. Offensichtlich hatten Otis und Annalisa dem Detective nichts von Edies Besuch erzählt. Sie fragte sich, ob sich daraus Rückschlüsse ziehen ließen.
    «Ihre Assistentin Kathy hat es mir gesagt», schwindelte sie, «als ich in Ihrem Büro war, weil ich Sie sprechen wollte.»
    Seine Augen weiteten sich ein bisschen, dann wurde seine Miene wieder verschlossen. «Wir hatten sehr viel um die Ohren.»
    Während des Gottesdienstes dachte sie an den Jungen, daran, dass ihm nicht genug Zeit auf der Welt gegeben war, um Freunde und Geliebte um sich zu scharen, Erinnerungen zu sammeln. Sie rief sich alles vor Augen, was ihm entgangen war: die schwindelerregenden Freuden der Kindheit, die charakterbildenden Verletzungen. Sie dachte daran, was TaniaLee bevorstand. Edie wusste, selbst wenn das Mädchen sich wieder finge, würde sie alle Geburtstage, alle Feiertage und Familientreffen ohne ihren Sohn empfinden wie einen Dorn, der sich immer tiefer in ihr Fleisch bohrte.
    Als sie am Ende des Gottesdienstes die Kirche verließen, erspähte Edie in der letzten Bank Chuck Hillingberg, den Bürgermeister von Anchorage, und seine Frau Marsha. Unsicher, ob er sie kennen musste, ließ der Bürgermeister Edie für alle Fälle ein schmales Lächeln zukommen. Sie sah, dass seine Frau das Lächeln registrierte und ihm mit dem Blick folgte, dann flüsterte Marsha Hillingberg ihrem Mann etwas zu, und das Lächeln erlosch.
    Draußen in der Sonne stand Detective Truro und beobachtete die Leute, die aus der Kirche kamen. Edie ließ Derek stehen und ging zu ihm.
    «Ich war gestern Abend in Ihrem Büro.» Sie beugte sich zu ihm und senkte die Stimme. «Lucas Littlefish war schon lange tot, bevor ich seine Leiche gefunden habe.»
    «Ja», sagte Truro gleichmütig, «das ist uns bekannt. Uns liegen ein gerichtsmedizinisches Gutachten und ein Autopsiebericht vor. Die Großeltern wünschten, dass Lucas baldmöglichst beerdigt wurde.»
    «Nach dem, was Sie mir über seine Mutter gesagt haben, frage ich mich: Könnte TaniaLee Littlefish es selbst gewesen sein?»
    Truro hob eine Hand.
    «Ich untersuche seit zwölf Jahren Mordfälle, Miss Kiglatuk.» Er bemühte sich redlich, den Namen richtig auszusprechen. «Wir wissen Ihre Aussage zu schätzen. Das alles muss Sie vom Iditarod-Rennen abgelenkt haben, dem Sie sich sicher wieder widmen möchten. Sollten wir Ihre Hilfe benötigen, wenn der Fall vor Gericht kommt, werden wir Sie als Zeugin hierherfliegen lassen.» Er sah auf die Uhr und setzte dann ein falsches Lächeln auf. «Fürs Erste haben Sie uns sehr geholfen, und dafür sind wir Ihnen dankbar.»
    Er wandte sich ab und ging den Weg entlang. Edie sah, wie er sich vom Ehepaar Littlefish verabschiedete. Die zwei wirkten unbeholfen, weniger gramgebeugt als vielmehr bestrebt, alles in sich aufzunehmen. Ob sie wussten, was mit dem Leichnam ihres Enkels in den drei Monaten zwischen seinem Tod und dem Tag, an dem Edie ihn fand, geschehen war? Falls sie überhaupt von dieser Zeitspanne wussten. Wenn ihre Tochter sich ferngehalten hatte und sie die Leiche nicht gesehen hatten, bestand kein Grund zu der Annahme, dass es

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