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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie McGrath
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noch betrieben werden musste, um den missglückten Auftritt des Bürgermeisters vor den Kameras am gestrigen Morgen wettzumachen.
    Das Problem bestand im Wesentlichen darin, dass er das Finstergläubigen-Fieber vollkommen unterschätzt hatte. Anders als seine Frau, die sich wahrhaftig mit allen Spielarten von konservativem Missionierungseifer befasste, sah Chuck den Glauben, zu dem er sich bekannte, von der praktischen Seite. Er war ein Heuchler, das war ihm bewusst. Er hatte seinen Frieden damit gemacht. Marsha war da anders. Ihren Glauben an den Kreationismus meinte sie genau so ernst wie ihren Glauben an die Existenz Satans. Deswegen verblüfften ihn ihre privaten Neigungen umso mehr. Aber sie störte sich offenbar nicht an den Widersprüchen. Wer hatte doch gleich gesagt, es sei ein Zeichen von hoher Intelligenz, wenn man imstande war, gleichzeitig zwei widersprüchliche Positionen im Kopf zu haben? Vielleicht war Marsha einfach klüger als er.
    Die Kellnerin kam. Er warf einen Blick auf ihr Namensschild – Janine – und sprach sie mit ihrem Namen an, als er wie üblich ein Rentiersteak bestellte. Rentier, Elch, Lachs oder Heilbutt zu verzehren, wann immer er auswärts essen ging, diente der Öffentlichkeitsarbeit und gehörte zu den vielen Dingen an Alaska, die er nicht vermissen würde. Manchmal musste er sich erinnern, wozu er das alles auf sich nahm, und die bedrückende Aussicht, sich schon wieder durch ein Lachssteak oder einen Rentierburger quälen zu müssen, war ein ebenso gutes Gedächtnistraining wie jedes andere.
    Ein weiteres war die Aussicht. Parteigenossen, die sich zum Essen zu ihm setzten, bewunderten schwärmerisch die Silhouette von Anchorage und ahnten kaum, dass der Bürgermeister sie aus ganz anderen Gründen bewunderte. Für ihn diente die Silhouette genau wie das Rentierfleisch nur der Verstärkung seines Entschlusses, fortzukommen, zuerst in die Hauptstadt Juneau, die ein noch schlimmeres Drecksnest war, dann in die Kernstaaten. Er genoss es, über die Bucht zu schauen und sich dabei vorzustellen, an einem doppelt so großen Ort zu sein – Portland oder Oregon zum Beispiel, dann in einem sechsmal größeren und so weiter, bis nach Washington.
    Auch hierin unterschied er sich von seiner Frau. Marshas Ehrgeiz begann und endete offenbar an der Staatsgrenze. Alaska und die Alaskaner bedeuteten ihr alles, und diese leidenschaftliche Anhänglichkeit ließ sich, zumal in der Lokalpolitik, nur sehr schwer vortäuschen. Wenn er der Hochspringer war, dann war sie der Stab. Ihm war durchaus bewusst, dass er es ohne sie niemals geschafft hätte, aus Wasilla herauszukommen.
    Er sah auf die Uhr. Den Nachmittag würde er wahrscheinlich damit verbringen, mit seinen Freunden bei den größeren Medienverbänden zu telefonieren, um Wiedergutmachung für sein radikales Unverständnis der Finstergläubigen-Geschichte zu leisten. Er und Andy hatten sich schon eine Strategie zurechtgelegt. Chuck würde sagen, er habe vollstes Verständnis für die Furcht der Öffentlichkeit vor den Satanisten, und genau aus diesem Grund sei ihm so sehr daran gelegen gewesen, sich in seinem Interview darauf zu konzentrieren, dass Peter Galloway wegen des entsetzlichen Verbrechens der Ermordung von Lucas Littlefish verhaftet worden war. Er wollte zerknirscht wirken, ohne zuzugeben, einen Fehler gemacht zu haben, aber er würde das Wort Irrtum hier und da in seine Rede einfließen lassen. Sobald das erledigt war, wollte er Mac privat anrufen und sich vergewissern, dass unterdessen Schritte unternommen worden waren, das Blockhaus zu räumen. Ungefähr gegen drei Uhr wollte er zu dem Iditarod-Kontrollpunkt fliegen, den Steve Nicols erreicht hatte, und sich mit dem Favoriten fotografieren lassen. Die Zeit im Flugzeug wollte er nutzen, um an dem Artikel für den
Anchorage Courier
zu feilen, den er schon mit Marsha geschrieben hatte. Dann galt es noch, eine Spendengala samt Benefiz-Abendessen zu überstehen. Er hatte noch nicht entschieden, ob er Marshas Rat befolgen und ein Treffen mit Byron Hallstrom arrangieren sollte. Wenn der heutige Abend genug einbrachte, wollte er noch abwarten. Er hatte nichts gegen Hallstrom, abgesehen davon, dass der erstens kein Alaskaner war – er war nicht mal Amerikaner, da er erst vor ein oder zwei Jahren eingebürgert wurde – und dass Chuck zweitens noch nie mit dem Mann verhandelt hatte. Er würde nicht gut dastehen, wenn er dabei gesehen wurde, wie er Geld von einem Mann nahm, der faktisch

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