Zeichen im Schnee
Frau, nicht?»
«Die Geburt ihres Babys steht kurz bevor, die wird sich kaum durch den Schnee kämpfen, das würde sowieso nicht zu denen passen. Beide Altgläubigen-Gemeinden, die am Meadow-See und die außerhalb von Homer, haben sich zurückgezogen. Die machen uns garantiert keinen Ärger.»
«Habt ihr die Sicherheitsbänder überprüft?»
«Da sind wir dran. Der Wachmann sagt, da waren auch Hundespuren. Ich wette zehn zu eins, das war bloß eine Einheimische auf der Jagd.»
Es klopfte, und Andy steckte den Kopf zur Tür herein.
Chuck sagte: «Ich muss Schluss machen», und beendete das Gespräch.
Andy deutete auf Chucks Lippe. «Was ist mit Ihrem Mund passiert, Chef?»
Chuck winkte ab. «Haben Sie was für mich?»
«Das Iditarod-Rennen?»
Chuck ging ins Wohnzimmer und schloss die Zimmertür. Mehrere Köpfe hoben sich von Telefonen und Laptops, guckten, was los war, und senkten sich wieder. Andys zwei Assistentinnen hatten einen großen Teil des Vormittags damit verbracht, die Mütter der zwei toten Kinder auf alaskanischen Elternwebseiten anonym anzuprangern. Was ihnen durch den Umstand erleichtert wurde, dass noch niemand die Identität des zweiten Babys kannte, geschweige denn die seiner Mutter. Zweck der Sache war es, genügend Leute davon zu überzeugen, dass die Kinder die unglücklichen Sprösslinge von verlotterten, cracksüchtigen Müttern waren, damit Blogger und Leser das Gefühl bekamen, die Kinder seien tot besser dran. Dann würde es den Leuten egal sein, wer sie getötet hatte, insgeheim würden sie vielleicht sogar denken, wer das Verbrechen begangen hatte, der hatte diesen Babys quasi einen Gefallen getan.
Aber die Hillingberg-Kampagne musste sich nicht nur bemühen, die Sache mit den toten Jungen abzuschwächen, sie musste auch rasch mit etwas Erquicklichem aufwarten, um den Schwerpunkt der Berichterstattung zu verlagern. Auch darüber hatte Chuck mit Andy und Marsha gesprochen. Negativmeldungen waren gut und schön, reichten aber nicht aus. Die Alaskaner waren von Natur aus ein Volk, das für gute Nachrichten empfänglich war. Diejenigen, die Chuck kannte – und er kannte eine ganze Menge Leute –, waren für Nabelschau kaum zu haben. Als langsam der Morgen heraufdämmerte, hatten sie sich auf einen Plan geeinigt.
Chuck peilte die Lage im Wohnzimmer. Andy saß noch in dem Ohrensessel, aber Marsha war nicht mehr da.
«Sie ist bloß kurz nach nebenan gegangen, um zu telefonieren», sagte Andy. «Wollte nicht gestört werden.»
Chuck ging zur Schlafzimmertür und legte die Hand auf den Knauf. Er konnte die Stimme seiner Frau deutlich hören.
«Er soll mich anrufen, es ist dringend.» Sie sprach ruhig, war aber erkennbar wütend. Chuck wollte gerade den Türknauf herumdrehen, als er es sich anders überlegte. Er hörte Marsha im Schlafzimmer sagen: «Nein, ist mir egal, um welche Tages- oder Nachtzeit. Richten Sie ihm nur aus, er soll mich anrufen.» Chuck hörte Schritte auf die Tür zukommen. Er klopfte, und augenblicklich öffnete sich die Tür.
«Oh», sagte Marsha, «du bist es.» Sie marschierte entschlossen zum Sofa und setzte sich. Einen Augenblick schien sie sich zu sammeln. Chuck setzte sich zu ihr. Ihre Miene ließ deutlich erkennen, dass sie nicht gefragt zu werden wünschte, worüber sie nachdachte. Andy Foulsham zog seinen Sessel so nahe heran, dass sie sich zu dritt leise unterhalten konnten, ohne dass es jemand mitbekam.
«Ich habe einen Mitarbeiter zum Kontrollpunkt in Ophir geschickt, damit er Steve Nicols bearbeitet.» Sie hatten die Bedingungen schon erörtert.
«Nichts Nachweisbares?», fragte Marsha.
«Nicht mal Woodward und Bernstein würden dahinterkommen. Keinerlei Anhaltspunkte, weder auf Papier noch elektronisch. Das ist eine verfickte gottverlassene Gegend.»
Marshas Gesicht verfinsterte sich angesichts der ordinären Sprache. «Wird er mitmachen?»
«Sieht so aus», sagte Foulsham.
Chuck fragte: «Was hat er verlangt?»
«Zweihundertfünfzig fürs Verlieren und ein paar Interviews. Mein Mitarbeiter hat ihm gesagt, er kriegt am nächsten Kontrollpunkt eine Antwort von uns.»
Zweihundertfünfzigtausend Dollar. Ganz schön teures Manöver. Chuck biss sich auf die Lippe. Er fragte sich, ob das Ganze nicht reine Panik war – das Finstergläubigen-Fieber würde zurückgehen, und die Leute würden die toten Kinder vergessen.
«Sag ihm, es geht klar», sagte Marsha.
Chuck zog die Augenbrauen hoch, doch Marsha sah ihn nicht an. Vielleicht wusste sie,
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