Zeichen im Schnee
musterte Derek kurz. «Wenn du hier rauskommst, fahr auf der Spenard Road in westlicher Richtung, bis du bei
Mary Jane’s
bist. Oben-ohne-Bar. Wenn du an der Polizeistation vorbeifährst, bist du schon zu weit. Frag nach Willis. Großer Typ, Biker. Sag ihm, Zoom schickt dich.»
Derek trank sein Bier aus, ging wieder zu seinem Mietwagen und fand schließlich Willis im
Mary Jane’s
. Für ein paar weitere Zwanziger schickte der Mann ihn zu einem heruntergekommenen Haus am Ende der Spenard Road.
Derek klingelte am Vordereingang. Eine kleine mollige Frau öffnete eine Seitentür.
«Wir haben noch nicht offen.» Sie sprach englisch, aber mit unverkennbar russischem Akzent, der in Derek ein stechendes Sehnen auslöste.
Er sagte auf Russisch: «Willis schickt mich. Ich möchte mich nur ein paar Minuten mit Ihnen unterhalten.»
Die Frau legte die Stirn in Falten.
«Wir haben nichts zu sagen», erklärte sie auf Russisch. Dann wechselte sie wieder ins Englische. «Bist du ’n Bulle?»
«Seh ich wie ein Bulle aus?»
Die Frau sah ihn herablassend an. «Wie gesagt, wir haben noch nicht offen.»
Wie ein Freier auch aussehen mochte, dachte Derek, er selbst war keiner, und die Frau wusste das.
«Hören Sie, ich bin an der Universität.» Er sprach wieder russisch. «Wir arbeiten an einem Forschungsprojekt über das Nachtleben. Das wird streng vertraulich behandelt.» Er schenkte ihr sein breitestes Lächeln. «Ich kann Ihnen was dafür zahlen.»
Die Frau ließ den Blick die Straße auf und ab wandern. Ihr Gesicht sah eingefallen und verbraucht aus. Sie machte die Tür etwas weiter auf und trat einen Schritt zurück. Im Hineingehen wies sie Derek mit einer Geste an, die Arme zu heben, dann klopfte sie ihn auf Waffen ab.
«Zehn Minuten, zweihundert Kröten», sagte sie auf Englisch, dann fügte sie auf Russisch hinzu: «Ich hab eine Waffe. Versuch bloß keine Mätzchen, sonst puste ich dir die Eier weg.»
Sie führte ihn durch einen schmalen Flur in einen kleinen Wohnbereich, wo zwei Frauen auf einem Sofa saßen. Die eine war aschblond mit Augen so blau wie Eisberge; die andere, jünger und zierlich, wiegte ein Baby in ihren Armen. Die Zierliche blickte auf und drückte das Baby an sich, aus ihrem Gesicht sprach Angst.
«Kein Grund zur Aufregung», sagte die ältere Frau. «Er will bloß zehn Minuten mit euch reden.»
Die zwei Frauen wechselten furchtsame Blicke.
Die ältere Frau sagte etwas, das Derek nicht verstand. Aus ihrer Körpersprache schloss er, dass sie den zwei Frauen versicherte, er sei unbewaffnet. «Er bezahlt auch», fügte sie augenzwinkernd hinzu, «hundertfünfzig Kröten für zehn Minuten, mehr, wenn er überzieht.»
«Es geht um ein Forschungsprojekt für die Universität», sagte er in seinem besten Russisch.
Die zwei Frauen schienen sich zu entspannen.
Derek lächelte das Baby an.
«Wie heißt er denn?»
Die junge Frau drückte das Baby noch enger an ihre Brust. Sie wirkte verängstigt. Über den Tisch hinweg funkelte die ältere Frau Derek böse an.
«Das spielt keine Rolle», sagte sie.
***
Als Derek wieder in das Apartment kam, hatte Edie einen Topf Blutsuppe auf der Kochplatte und wartete auf ihn. Sie goss eine Schale voll und stellte sie auf den Tisch. Der starke Geruch der Suppe erinnerte köstlich an zu Hause. Während Edie ihm einen Löffel aus der Kochnische holte, berichtete sie ihm von dem festungsartig gesicherten Blockhaus und dem hochrangigen Polizisten.
«Denkst du, das ist eine Geheimanlage?»
«Sehr gut möglich», sagte sie. «Da ist mit Sicherheit was im Busch.» Sie legte den Löffel auf den Tisch. Derek nahm ihn und dankte Edie, dass sie sich die Mühe gemacht hatte, Suppe zu kochen.
«Ich dachte mir, du brauchst was zur Stärkung», sagte sie. «Ich hab am Straßenrand ein überfahrenes Tier aufgelesen, noch warm.» Sie öffnete die Kühlschranktür. Ein enthäutetes Bein purzelte heraus. Sie hob es auf, wischte es ab und stopfte es wieder hinein. «Ein Kojote. Hab ihm ein neues Heim besorgt.»
Derek atmete vernehmbar aus und schob sich einen Löffel Suppe in den Mund.
«Und?», fragte sie.
Er schloss die Augen und wartete, bis die reichhaltige Suppe seine Geschmacksknospen erreichte. Edie ließ ihn die Schale schweigend auslöffeln. Als er in Erwartung einer zweiten Portion aufblickte, sah sie ihn erwartungsvoll an.
«Nordnutten», sagte er. «Der Ausdruck war mir neu.» Er rief Holzkopf zu sich und kraulte ihm den Kopf. Auf dem Gesicht des Tieres breitete
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