Zeig mir den Tod
drei anderen Wohnwägen auch, die hier vergessen wurden. Krähen bewegen sich darauf, fast im Rhythmus mit dem Polizeiabsperrband, das in Fetzen zwischen den Bäumen flattert. Die Tür war nicht einmal abgeschlossen gewesen.
Am Abend nach der Beerdigung habe ich Günther zur Rede gestellt. Ich hatte ihn abgepasst. Nur zwei Handvoll Menschen sind durch das Tor gekommen, das von Günterstal zurück in die Stadt führt und hinter dem ich gewartet habe. Dabei war es ein so schöner Tag, fast wie heute, das Summen der Bienen, und ein Schmetterling ist durchs offene Fenster geflattert und hat sich kurz auf das Lenkrad gesetzt. Zu mir, mit der Günther seit dem Premiereabend nicht mehr gesprochen hat. Die ganze Zeit bin ich hinter ihm geblieben, als er nach über zwei Stunden endlich vor der Kirche losgefahren ist. Vor dem Altersheim habe ich wieder gewartet. Seine Mutter hat ihn lange aufgehalten. Erst als es dunkel wurde, war er wieder in seinem Zimmer. Der Abend war der schlimmste meines Lebens. Schrecklicher noch als der dreiundzwanzigste Mai 1993 . Er bedeutete mein Todesurteil.
Die Krähen fliegen von dem Dach auf, flattern laut hinüber auf den frisch gepflügten Acker, wo der Traktor noch immer seine Bahnen zieht. Er knattert, und als er die Pflugschar in die Schollen gräbt, dringt der Duft schwerer Erde herüber. Sie riecht nach Eisen und faulem Getreide, das im Herbst untergepflügt worden ist.
Uwe hat sich nie für den Wohnwagen interessiert. Wahrscheinlich hat er nicht einmal gewusst, dass es ihn noch gibt. Er war einer, der zu Hause glücklich war. Der an dem Fachwerkhaus am Rand von Breisach arbeiten konnte und seine Apfel- und Kirschbäume pflegte. Ich weiß noch, wie Günther und ich den Wohnwagen hierhergebracht haben. Es war ein heißer Sommer, wir waren schon am Nachmittag betrunken, und Uwe hatte Patienten. Günther hat den Wohnwagen an seinen VW -Käfer gehängt, und wir sind durch die duftenden Wiesen gefahren wie so ein Hippiepaar. Damals gab es noch einen befahrbaren Weg hierher, jetzt ist alles zugewachsen bis auf einen Trampelpfad. Am Rand des Auenwaldes, nur wenige Meter vom Rhein entfernt, haben wir die zwei Räder abgeschraubt und den Wohnwagen auf Backsteine aufgebockt. »Unser verruchter Kerker«, hat Günther gesagt, mich auf die schmale Bank im Innern geworfen und so richtig durchgevögelt. Danach haben wir die Sachen aus dem Käfer geholt. Die leere Bohnendose, in der das Gras war, steht immer noch in dem kleinen Hängeschränkchen. Es fällt fast herunter. Auf dem Boden liegen der Brecht und der Canetti , aus denen wir uns manchmal vorgelesen haben. Gebundene Ausgaben, die haben uns damals ein Vermögen gekostet. Sogar der Eimer steht noch in der Ecke, in den die Kinder ihr Geschäft erledigt haben, und unter einer der schimmligen Decken haben Günther und ich es früher schon getrieben. Es stinkt zum Gotterbarmen. Ich bin froh, dass ich gestern Abend in der Dämmerung vieles nicht so genau erkannt habe. Die Fenster des Wohnwagens sind von außen vernagelt, und innen hängen die blauen Vorhänge, die ich einmal genäht habe, in Fetzen herunter. Sie lösen sich vom Rand her auf, legen sich als feiner Staub über die zerfledderten Bücher.
Ich habe gehofft. Getrieben von dem Glauben, Günther würde mich lieben. Eines Tages. So, wie wir uns früher geliebt haben. Bevor Lene in sein Leben getreten ist. Er ist so witzig gewesen, der Fremde auf diesem Stadtfest, vor über dreißig Jahren. Er hat an der Mauer des Augustinermuseums gestanden und Shakespeare vorgetragen, als ich zufällig mit Uwe vorbeigeschlendert bin. »Das war nur zum Üben«, hat Günther am selben Abend zu Uwe und mir gesagt, als wir zu dritt auf den Stufen des Platzes gesessen haben, eine Flasche Wein kreisen ließen und über das Theater philosophierten. Günther hat gesprüht vor Lebenslust. Uwe hing an meinen Lippen und lächelte. Ich war schon an diesem Abend verloren.
Der Traktor kommt näher. Die Krähen fliegen um ihn herum und hacken mit ihren Schnäbeln zwischen die frischen, schweren Schollen.
Ich bin da, wo alles angefangen hat. Ich denke nicht mehr an die Beerdigung und an das, was danach war. Ich möchte nur das Gute bewahren.
Die Schlinge hängt über mir, und die schwarzen Leiber der Krähen glänzen in der Sonne.
Es ist ein guter Ort zum Sterben.
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E hrlinspiel drückte das Gaspedal durch und betete leise, obwohl er sicher war, es würde nicht helfen. Der silberne Astra schoss mit
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