Zeig mir den Tod
Forderung war doch zu der Zeit noch gar nicht erfüllt? Und weshalb nur er und nicht auch Rebecca?«
»Lene Assmann sagt, Marius hätte Rebecca nie und nimmer im Stich gelassen. Er wäre lieber gestorben, als sie allein zu lassen.«
»Vielleicht doch. Wenn Marius sie nicht mitnehmen konnte, weil sie zu schwach war und er geglaubt hatte, als letzte Chance Hilfe holen zu können.«
»Oder sie
ist
frei, und die Kinder haben sich aus irgendeinem Grund getrennt.« Krenz zog die Nase hoch. »Vielleicht irrt sie allein da draußen herum?«
»Oder« – Ehrlinspiel schluckte bei seinen eigenen Worten – »Rebecca ist tot. Und war das schon, als Marius das Gefängnis verlassen hat.«
Niemand sagte etwas.
»Vielleicht wurde er gezwungen zu gehen?«, warf jemand ein.
»Auch dafür sehe ich keinen Grund.« Krenz schüttelte den Kopf. »Es sei denn, jemand
wollte,
dass er rauskommt – und hat ihn dann absichtlich überfahren.«
»Warum die Mühe? Wenn der Entführer ihn hätte töten wollen, dann hätte er das gleich tun können, dort, wo er die Kinder gefangen hält.«
»Kranke Gehirne ticken nicht logisch.«
»Auf jeden Fall«, lenkte Lederle ein, »kamen keine Nachrichten mehr seit Samstagnachmittag. Kein Handy war eingeloggt.«
»Stimmt«, bestätigte der TKÜ -Spezialist von seinem Rechner aus.
»Und wenn ich Reinhard richtig verstehe, ist Marius zwischen neunzehn und zweiundzwanzig Uhr gestorben?«
»So ist es.« Larsson strich sich über das blonde Ziegenbärtchen. »Hinweise dafür sind – neben der bereits zitierten Totenstarre und Körperkerntemperatur heute Nacht – die blau-livide Färbung der Livores sowie die postmortal-supravitale elektrische Erregbarkeit der Hypothenar-Muskulatur und des Musculus orbicularis oris –«
»Danke, danke.« Frank Lederle hob die Hand. »Wir können also so gut wie sicher davon ausgehen, dass der Entführer von Marius’ Flucht weiß beziehungsweise wusste und seinen Plan aufgegeben hat.«
Ehrlinspiels Kopf fühlte sich an wie von einem Stahlband zusammengequetscht, und seine Augen tränten. »Aber er weiß nicht unbedingt, dass Marius tot ist.«
»Er weiß aber garantiert, dass Assmann aufgetreten ist und sich geoutet hat. Dass er also dachte, sein Sohn oder Nicht-Sohn müsse noch befreit werden. Und das weiß der Entführer unabhängig davon, ob er im Theater war oder nicht. Habt ihr heute schon Zeitung gelesen? Titelseite!
Drama am Stadttheater. Vater der entführten Kinder dreht durch.
Mit Foto von Assmann auf der Bühne. Großaufnahme seines Gesichts. Sieht aus wie eine verzerrte Fratze. Und er heult.«
»Der Entführer kann also davon ausgehen, dass Marius sich weder bei den Eltern noch bei uns gemeldet hat. Dass er also noch unerkannt ist.«
»Er könnte denken, der Junge sei noch auf der Flucht. Vielleicht sucht er ihn.«
»Ich verstehe die Sache mit der Vaterschaft immer noch nicht«, sagte Ehrlinspiel. »Aber vielleicht … sollten wir Marius’ Tod erst einmal geheim halten.«
Lederle nickte bedächtig. »Du meinst so etwas wie eine offizielle Version: Marius ist verletzt aufgefunden worden und liegt in der Uniklinik. Nichts weiter. Das lockt den Entführer möglicherweise aus seinem Versteck. Weil er sichergehen muss, dass der Junge nicht redet.«
»Hört sich nach schlechtem Film an.« Krenz grinste. »Und es verstößt gegen unseren Grundsatz, dass alles, was wir öffentlich sagen, wahr sein muss. Aber nicht alles, was wahr ist, gesagt werden muss.«
»In dem Fall …«
Jo hob die Hände. »Wenn wir den Täter damit kriegen, ist mir alles recht.«
Lederle nickte dem Pressesprecher zu. »Edgar, du lädst sofort die Medien zum Pressegespräch ein.« Er blickte auf die Wanduhr. »Punkt zwölf in der Cafeteria. Es wird voll werden. Und ihr anderen« – er fixierte jeden Einzelnen – »haltet dicht! Und bleut bitte der Mutter ein, zu niemandem ein Wort zu sagen.«
Einige murmelten, andere nickten stumm.
»Moritz, habt ihr noch einmal überprüft, ob Marius jemanden in der Gegend um Breisach kannte? Oder sogar im Ortsteil Gündlingen?«
»Seine Familie sagt, nein.«
»Er
muss
da jemanden getroffen haben.«
»Wir sollten noch einmal mit Vanessa Sigismund reden. Sie hat zuletzt mit ihm gesprochen. Er hat sie dort angerufen, wo er starb! Sie war bei Assmanns, um sich nach ihm zu erkundigen.«
»Mach das jetzt gleich, Moritz. Nimm« – er sah sich um – »Freitag mit. Wo steckt der überhaupt?«
Ein Blitz zuckte über den Himmel und tauchte
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