Zeig mir den Tod
Ungewöhnliches passieren würde! »Nur Assmann anschauen«, hatte er gesagt. Dabei war sie seine Lebensgefährtin! Auch der Redakteur mutmaßte, dass Assmann unter Druck gesetzt worden war und die Aufführung deshalb geschmissen hatte. Natürlich wurde alles in Zusammenhang mit der Entführung seiner Kinder gesehen. Und jetzt warteten alle auf Neuigkeiten.
Ihr Kollege war gründlich gewesen: Er zitierte den Pressesprecher der Polizei, der davon sprach, »von gewissen Vorgängen Kenntnis gehabt« zu haben, und die Chefdramaturgin, die »fassungslos vor den Scherben einer bedeutenden Karriere« stand – nämlich Assmanns Karriere. Bei sich sah Berger keinerlei Schuld, hielt jedoch bedingungslos zu Assmann. »Er hat eine schwere Zeit hinter und vor sich«, sagte sie.
Hanna schnaubte. »Du hast es gewusst!« Am liebsten hätte sie frustriert losgeheult und Ehrlinspiel gleichzeitig angebrüllt.
Sie las weiter. Der Intendant des Wiener Burgtheaters, der offenbar eigens angereist war, um Assmann zu sehen, hatte jeden Kommentar verweigert – das aber immerhin mit einem distanzierten Lächeln.
Wütend warf sie die Zeitung neben den Teller. »Und du glaubst, dass ich jetzt hier warte, bis auch ich abgesägt werde«, sagte sie laut. »Nein danke. Und Rücksicht nehme ich jetzt auch nicht. Das wird eine hautnahe Story für meinen Einstieg beim Stadtmagazin.« Sie ließ sich die bekannten Fakten durch den Kopf gehen.
Edith Berger. Hm. Gestern Abend war ihr dieser Mann im Foyer aufgefallen. Cordhose und Filzjacke. Irgendetwas an ihm war ihr sofort sympathisch gewesen. Wahrscheinlich, dass er auch einsam gewirkt hatte und wie sie die meiste Zeit allein herumgestanden war. Als Moritz nach dem seltsamen Auftritt abgehauen war, war sie fast gemeinsam mit dem Fremden aus dem Großen Haus gespuckt worden, und im Foyer fragte sie eher nebenbei: »Müssen Sie die schwere Kost auch allein verdauen?« Er lächelte. »Nicht nur die.« Und so kamen sie ins Gespräch – seine Andeutung machte sie natürlich neugierig. Doch außer, dass er ein Theaterfreund und ein Verehrer von Berger war, gab er nichts preis. Hanna war es egal. Sie hatte andere Sorgen. Doch das Glas Sekt mit dem Mann tat ihr nach dem Chaos gut.
Viele standen nach Assmanns Abgang noch herum und ereiferten sich über den Eklat. Hanna und der Mann waren eher still. Er schien erschöpft zu sein. Traurig, doch zugleich seltsam entspannt. Erst, als sie unabsichtlich eine leichte Drehbewegung machte und vor Schmerz aufstöhnte, wurde er redseliger. »Darf ich? Ich bin Tierheilpraktiker.« Mit wenigen Griffen seiner Hände war der Schmerz wieder erträglich gewesen. Danach war er wortlos gegangen.
Hanna schlürfte den Rest Espresso aus dem Pappbecher und würgte. Er war kalt und bitter.
Tierheilpraktiker. Sie beobachtete Bugatti. Er saß zu ihren Füßen und leckte über eine Vorderpfote.
»Seltsam«, murmelte sie. Hieß der Mann nicht auch Berger? Er hatte doch einen Namen genannt, während ein Wirbel unter seinen Fingern laut geknackt hatte. Oder bildete sie sich das nur ein? Und hatte Moritz nicht angedeutet, dass die Chefdramaturgin mit Assmann gut befreundet sei?
Sie brauchte ihre Handtasche. Voller Tatendrang hastete sie in den Flur.
Gut befreundet.
Sie dachte an die Antwort des Mannes auf ihre Frage, ob er die schwere Kost auch allein verdauen musste.
Nicht nur die.
Was musste er noch verdauen?
Auf dem Boden neben ihren burgunderfarbenen High Heels lag die Handtasche. Sie schüttete den Inhalt auf die Flurkommode. Taschentücher, rosa Lippenstift, Bürste, Kompaktkamera, Geldbörse … und die Visitenkarte mit den gezeichneten Tierköpfen darauf. Tatsächlich.
Uwe Berger. Tierheilpraktiker. Breisach-Oberrimsingen.
Oberrimsingen? Das konnte nicht weit von Rimsingen entfernt sein. Auch nicht vom Rimsinger Baggersee, an dem sie im vorletzten Sommer während der Jahrhundert-Hitzewelle mit Moritz gewesen war. Wo sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Diese Gewitternacht, in der er geweint hatte und verzweifelt gewesen war. Der See, in dem sein Freund Peter bei dem Wettschwimmen mit ihm ertrunken war.
Aufgeregt rannte sie ins Wohnzimmer und googelte mit ihrem iPhone nach der angegebenen Adresse. »Ja!«, rief sie, als sie den Eintrag fand:
Edith und Uwe Berger.
Ein Ehepaar also! Aber eine so elegante Frau und ein eher bäuerlicher Typ mit grauem Pferdeschwanz? Merkwürdig. Andererseits war ihre Freundin Kora auch viele Jahre mit einem langhaarigen
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