Zeig mir den Tod
schmerzte.
»Habt ihr Assmann gefunden?« Lukas Felber, der erst vor einer Viertelstunde vom Leichenfundort zurückgekehrt war, hatte nasses Haar, auch die Schultern seines karierten Hemdes waren nass. Im Morgengrauen hatte sich das Wetter verschlechtert, und jetzt, um kurz nach acht Uhr, verdunkelten graue Wolken den Himmel, und der Regen malte dicke Fäden an die Fenster. Das Wetter passte hervorragend zu Ehrlinspiels Gedanken: finster, bedrückend, ohne Lichtblick. Bloody Monday.
Lederle schaltete den Projektor aus. Sein Schädel glänzte im Neonlicht. »Nein.«
»Und seine Frau?« Lukas tippte mit einem Kuli auf einen Block.
»Hat starke Beruhigungstabletten bekommen. Josianne ist bei ihr.« Lederle ging zu dem Whiteboard, an dem er eine topographische Karte aufgehängt hatte. Eine Wegkreuzung am Waldrand, südlich von Breisach, war rot eingekreist. Etwas westlich davon war ein grüner Kreis zu sehen. »Hier« – Lederle tippte darauf – »steht der Sendemast, von dem aus Marius einen Tag vor seinem Verschwinden bei Vanessa Sigismund angerufen hat.« Er fuhr mit dem Zeigefinger nach rechts. »Nur knapp einen Kilometer weiter wird er am Samstagabend, also drei Tage später, überfahren. Reinhard« – er blickte zu dem Rechtsmediziner –, »kannst du uns kurz die Ergebnisse zusammenfassen?«
Professor Larsson lächelte und schob sich die Brille auf die Nase. »Aber gern.« Als hätten sie ein Jahrhundert Zeit, blätterte er in einem Stapel Papiere vor sich. »Der endgültige Bericht liegt natürlich noch nicht vor. Aufgrund der Verletzungen können wir aber bereits jetzt den Unfallhergang und das Tempo des Wagens annähernd rekonstruieren. Wir gehen von einem Zusammenstoß mit einem Pkw aus. Kein Lieferwagen, kein Lkw.« Er blickte in die Runde. »Stellt euch vor, ihr werdet von hinten angefahren, auf die Kühlerhaube geladen und fallt anschließend wieder herunter. Das sind drei Phasen, und für die gibt es typische Verletzungsmuster. Fast alle liegen hier vor. Wir haben den Anstoß mit der Stoßstange. Heißt: Unterhalb von Marius’ Knien gibt es Textilschädigungen und Einblutungen des Unterhautfettgewebes. Außerdem eine Messerer-Fraktur.« Er malte zwei parallele Striche auf ein Blatt Papier, setzte ein Dreieck hinein und hielt die Zeichnung hoch. »Seht ihr? Die Bruchstellen im Wadenbein sehen aus wie ein Keil. Die Spitze zeigt in Richtung der stoßenden Gewalteinwirkung.« Er legte das Blatt auf den Tisch. »Wir können somit – stets in grano salis – auf die Gehrichtung von Marius schließen.«
»Die Wagenspuren laufen am Waldrand entlang«, warf der Kriminaltechniker ein.
»Richtig.« Larsson blätterte. »Marius wurde im Gehen erfasst, und zwar von links hinten.«
»Warum nicht im Stehen?«, fragte Jo Krenz.
»Schleifspuren und Abrieb an nur
einer
Schuhsohle. Hätte er gestanden …«
»Verstehe.«
»Vermutlich ist er direkt auf den Wald zugelaufen, hat dann das Auto gehört, sich noch umgedreht, aber nur ein Stückchen, als er erfasst wurde. Er kam wohl aus Richtung Osten, also von Gündlingen, durch die Wiesen bis zum Feldweg, der in den Wald führt. Das Auto kam aus Norden und fuhr am Wald entlang. An der Kreuzung der Wege …« Er hob die Arme. »Zack. Und tschüss.«
Ehrlinspiel hatte schon geglaubt, Larsson sei vom kalten Zyniker zum warmherzigen Empathiker mutiert – doch der letzte Satz klang wieder ganz nach dem alten Rechtsmediziner.
»Aber«, Larsson hob den Zeigefinger, als stehe er im Hörsaal, »bevor er starb, zog er sich in der sogenannten Aufladephase auf der Motorhaube – und in Folge der Körperrotation – durchspießende Rippenfrakturen mit Hämatopneumothorax, Lungen- und Herzkontusion zu. Außerdem zeigt der innere Befund Rupturen der großen Organe und …«
»Sorry, geht das auch« – Judith Maiwald strich sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr und streifte Ehrlinspiel mit einem Seitenblick – »ein wenig verständlicher, Herr Professor? Und kürzer?«
Larsson hob den Kopf um Millimeter. »Sicher, Frau Maiwald.«
»Also: Marius Assmanns Rückenweichteile sind eingeblutet, sechs Rippen gebrochen, mehrere Brust- und Lendenwirbel sind verletzt. Außerdem muss sein Kopf mit großer Gewalt auf dem Wagen aufgeschlagen sein, denn – und das ist die eigentliche Todesursache – sein Genick ist gebrochen.«
»Scheiße«, flüsterte Ehrlinspiel.
Larsson schürzte die Lippen. »Ich habe schon Schlimmeres gesehen. Ach ja, vermutlich ist er nicht auf der
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