Zeig mir den Tod
Leben. Aber ich habe noch nie jemandem weh getan oder jemanden betrogen. Ich …« Dann sah er die Tränen in Günthers Augen. Sie flossen aus ihm heraus wie Bäche, und der kraftvolle, stolze Mann wurde von Weinkrämpfen geschüttelt.
Uwe setzte sich wieder. »Was ist mit Marius passiert?«
»Überfahren.«
Er schwieg eine Weile. »Aber wieso? Von wem?«
»Sie wissen es nicht.«
»Sie?«
»Die Polizei.«
»Wieso war er überhaupt … draußen? Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Im Radio hieß es erst vorhin, er sei in der Uniklinik. War er verletzt und hat es … nicht geschafft?«
Assmann wischte sich mit dem Ärmel den Rotz von der Nase. »Ich muss Rebecca finden. Wenn du irgendetwas weißt, dann … bitte, hilf mir.«
»
Ich
soll
dir
helfen? Du vögelst meine Frau, und ich soll dir helfen?« Ein Kloß aus Mitleid und Zorn setzte sich in Uwes Kehle fest, hart und heiß.
»Du bist mir etwas schuldig.«
»Nein!« Das konnte er unmöglich ernst meinen. Nicht nach so langer Zeit.
»Hast
du
die beiden entführt? Das wäre logisch. Du hast von Edith und mir erfahren. Sinnst auf Rache. Und du weißt genau, womit du mich treffen kannst. Ein zweites und ein drittes Kind verloren … Na, sagt dir das nichts? Dein zweites und Dein drittes Kind, in meiner strengen Obhut sind?«
Uwe starrte den Mann an, der einmal sein Freund gewesen war. Er schüttelte den Kopf.
»Das hast du schlau angestellt. Meine Karriere ist am Arsch, Ediths gleich mit, und damit auch ihre Beziehungen. Es gibt also keinen Grund mehr für mich, sie zu ficken. Und die Krönung ist deine Rache, dass Marius und Rebecca nun auch –«
»Du bist komplett durchgeknallt, Günther!«
»Ist Marius dein Sohn? Du hast Lene immer vergöttert. Jüngere Frauen, das reizt dich doch, oder nicht? Der Abend, an dem Annika … Du hast Lene getröstet. Du warst mit ihr allein, während ich die Scheißarbeit erledigen musste! Hab ich recht? War es nicht so?«
»Nein.«
»Du kannst Edith behalten, ich will sie nicht.«
Der Kloß wuchs. Am liebsten hätte er Günther vom Stuhl gerissen und ihm die Faust ins Gesicht gerammt. »Du bist krank!«, sagte er nur.
»Du meinst, ich habe gestern Abend Blödsinn erzählt auf der Bühne? Meinst du, es hat mir Spaß gemacht, meine Karriere zu beenden, indem ich dem dummen Volk erzähle, ich sei nicht der Vater von Marius?«
»Dann stimmt es also, was die Presse mutmaßt. Dass der Entführer dich dazu gezwungen hat?«
Günther nickte.
»Deswegen denkst du, dass
ich
…?« Ungläubig lachte Uwe auf. »Ich habe Lene nicht angerührt. Nicht ein einziges Mal. Sie ist
deine
Frau.« Er atmete einige Male tief durch. »Weiß Lene es?«
»Mit Edith? Wozu? Wir haben uns schon lange nichts mehr zu sagen. Lene hat … ihre Kinder.«
»Und sie hat ein Haus, sie hat Knete, von der du mehr als gut lebst, sie hat …«
»Halt den Mund!« Günther fuhr auf und kam hinter dem Schreibtisch hervor.
»Ein wunder Punkt, ja?« Er konnte nicht anders als sarkastisch sein. Was bildete Günther sich ein? Vögelte mit seiner Frau, unterstellte
ihm,
Uwe, mit Lene geschlafen zu haben, und stellte auch noch Forderungen?
»Wir müssen Rebecca suchen. Sie braucht ihr Insulin. Du musst etwas mitnehmen. Sie war erkältet, als sie am Donnerstag zur Schule ging, sie –«
»Insulin?«
»Sie hat es auch. Diabetes. Wie Lene. Wie …«
»Wie Annika.« Uwe blickte zu Cockoo.
Sofort legte der den Kopf schief. »Aua, aua.«
»Das wusste ich nicht.«
»Liest du keine Zeitung?«
»Von Diabetes stand nirgends etwas.«
»›Rebecca Assmann benötigt lebenswichtige Medikamente‹ stand da. Du hättest es kapieren können.«
Er hat recht, dachte Uwe. Aber ich war mit anderen Dingen beschäftigt. Mit der Vorstellung, dass Assmann sich mit meiner Frau in irgendeinem Hotelbett oder auf dem Rücksitz seines Angeberautos wälzte. Dass er sie an den Stellen berührte, die nur ich zu kennen glaubte. »Ich habe kein Insulin hier. Ich bin kein Arzt. Und ich behandle keine Menschen mehr.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Du hast mir die große Liebe genommen.«
»Du hast
mir
die große Liebe genommen.« Kurz funkelten sie sich an, und Uwe versuchte, die Erinnerung an Annikas verquollenes Gesicht auszublenden. »Jetzt habe ich nur noch Rebecca. Also hilf mir«, sagte Günther.
»Und wie hast du dir das vorgestellt? Soll ich dem alten, dreibeinigen Streuner ein T-Shirt von deiner Tochter vor die Nase halten und mit ihm durch den Wald jagen? Du
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