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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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weiter aufzusteigen, war nie erfüllt. Für ihn war das Leben wie eine endlose Leiter, die irgendwo hoch oben in den Wolken verschwand, eine schwankende, wacklige Leiter, die jederzeit zu kippen und ihn in die Tiefe zu reißen drohte. Er konnte nicht hinunterschauen, sonst wäre er vor Angst erstarrt. Nein, er musste den Blick nach vorn richten, nach vorn und nach oben.
    Gabe stellte die Aktenkisten nach Lous Anweisungen ab, sah sich um und stieß einen Pfiff aus.
    »Tolles Büro, Lou.«
    »Ja, stimmt«, grinste Lou und sah sich ebenfalls um.
    »Warm hier«, fügte Gabe hinzu, während er, die Hände in den Taschen, im Raum herumwanderte.
    Lou runzelte die Stirn. »Warm? Das wäre mir nicht als Erstes in den Sinn gekommen, um dieses Büro zu beschreiben«, entgegnete er mit einer vagen Geste durch das riesige Zimmer. »Ich finde, etwas in der Art wie ›verdammt gigantisch riesenhaft‹ passt besser.« Er fing an zu lachen, und irgendwie fühlte er sich leicht fiebrig. Erschöpft, stolz und ein wenig ängstlich, bemühte er sich nach Kräften, seine neue Situation zu begreifen.
    »Was genau machen Sie jetzt eigentlich?«, erkundigte sich Gabe.
    »Ich bin der Business Development Director, was bedeutet, ich habe wesentlich mehr Autorität als bisher, und gewisse kleine Scheißer müssen tun, was ich ihnen sage.«
    »Kleine Scheißer wie Sie?«
    Lou fuhr herum wie ein Radar, der ein Signal aufgefangen hat, und starrte Gabe empört an.
    »Ich meine nur – vor ein paar Tagen waren Sie selbst doch noch einer dieser kleinen Scheißer, die tun müssen, was man ihnen sagt … ach, vergessen Sie’s«, wiegelte Gabe ab. »Wie hat Cliff es aufgenommen?«
    »Was aufgenommen?«
    »Dass er seinen Job los ist.«
    »Oh.« Lou sah zur Decke und zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich hab es ihm nicht gesagt.«
    Gabe schwieg.
    »Ich glaube nicht, dass er inzwischen wieder weit genug auf dem Damm ist, um mit jemandem zu reden«, fügte Lou hinzu, weil er plötzlich den Drang spürte, sich zu rechtfertigen.
    »Aber er bekommt doch wieder Besuch«, wandte Gabe ein.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich weiß es eben. Sie sollten ihn unbedingt mal besuchen. Vielleicht hat er ein paar gute Ratschläge für Sie, und Sie könnten etwas von ihm lernen.«
    Lou lachte spöttisch.
    Aber Gabe ließ sich nicht beeindrucken und starrte Lou nur stumm an.
    Nach einer Weile hörte Lou auf zu lachen und räusperte sich verlegen.
    »Es ist Heiligabend, Lou. Was machen Sie hier im Büro?« Gabes Stimme klang sehr sanft.
    »Wie meinen Sie das – was ich hier mache?«, hakte Lou nach. »Wonach sieht es denn aus? Ich arbeite.«
    »Außer den Sicherheitsleuten sind Sie der einzige {322 } Mensch, der noch im Gebäude ist. Ist Ihnen das schon aufgefallen? Alle anderen sind da draußen.« Gabe deutete hinaus auf die geschäftige Stadt.
    »Na ja, die da draußen haben auch nicht so viel zu tun wie ich«, entgegnete Lou mit kindischem Trotz. »Außerdem sind Sie ja auch noch hier, oder nicht?«
    »Ich zähle aber nicht.«
    »Na, das ist ja eine tolle Antwort. Ich zähle auch nicht.«
    »Wenn Sie so weitermachen, zählen Sie bald wirklich nicht mehr. Wissen Sie, einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner aller Zeiten, ein gewisser Walt Disney – der Name sagt Ihnen bestimmt etwas, er hat ja hier und dort eine Firma … « – Gabe lächelte –, » … dieser Walt Disney also hat einmal gesagt: ›Ein Mann sollte nie wegen seiner Arbeit die Familie vergessen.‹«
    Eine lange, unbehagliche Stille trat ein. Lou biss die Zähne zusammen, entspannte den Kiefer wieder und überlegte dabei angestrengt, ob er Gabe bitten sollte zu gehen oder ob er ihn einfach packen und hinauswerfen sollte.
    »Andererseits«, lachte Gabe plötzlich, »andererseits hat er auch gesagt: ›Es hat alles mit einer Maus angefangen.‹«
    »Okay, na gut, aber ich muss jetzt wirklich arbeiten, Gabe. Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten.« Lou bemühte sich, seinen Ton so im Gleichgewicht zu halten, dass er weder zu fröhlich noch zu feindselig klang.
    »Danke, Lou. Und schöne Weihnachten auch für Sie. Und Glückwünsche zu Ihrem warmen, verdammt gigantisch riesenhaften Büro.«
    Ganz gegen seinen Willen musste Lou lachen. Die Tür schloss sich hinter Gabe, und dann war Lou zum ersten Mal allein in seinem neuen Büro. Langsam ging er zum Schreibtisch, fuhr mit dem Finger über den Rand aus Walnussholz {323 } und die Oberfläche aus Schweinsleder. Darauf stand nur ein großer weißer

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