Zeit deines Lebens
Computer mit einer Tastatur und einer Maus.
Er setzte sich auf den Lederstuhl, drehte sich schwungvoll zum Fenster und betrachtete die Stadt unter sich, die sich auf die Feiertage vorbereitete. Ein Teil seiner selbst sehnte sich danach, dabei zu sein, aber er war hinter diesem Fenster gefangen, durch das er die Welt sehen, aber nicht anfassen konnte. Er fühlte sich oft wie in einer riesigen Schneekugel, umwirbelt von Pflichten und Misserfolgen.
Über eine Stunde saß er auf dem großen Stuhl, an seinem neuen Schreibtisch, und dachte nach. Er dachte an Cliff, er dachte an die Ereignisse der letzten Wochen, an den schönsten Tag seines Lebens. Erst vorgestern war es gewesen. Als eine leichte Panik in ihm aufzusteigen begann, drehte er den Stuhl und bot dem Büro und allem anderen die Stirn.
Er starrte auf die Tastatur. Starrte sehr intensiv. Dann folgte sein Blick dem dünnen weißen Kabel, das die Tastatur mit der Maus verband, und er dachte an Cliff, dachte daran, wie er ihn unter genau diesem Schreibtisch gefunden hatte, mit dieser Tastatur im Arm. Wie Cliff ihm mit weitaufgerissenen, gehetzten Augen die Maus entgegengeschleudert hatte.
Dann tat er Cliff zu Ehren etwas, was er die ganze Zeit, die sein Kollege nun schon fehlte, nicht geschafft hatte: Er schleuderte seine Schuhe von sich, löste das Kabel, das die Tastatur mit dem Monitor verband, und schob den Ledersessel zurück. Dann ging er auf alle viere, kroch unter den Schreibtisch und drückte die Tastatur fest an seine Brust. So saß er eine weitere Stunde da, und wieder dachte er einfach nur nach.
Die Uhr an der Wand tickte laut in der Stille. Der Rummel, der sonst im Bürogebäude herrschte, war verstummt. Kein Telefon klingelte, kein Kopierer brummte, kein Computer summte, keine Stimmen, keine vorübereilenden Schritte. Ehe Lou auf die Uhr geschaut hatte, hatte er die Sekunden überhaupt nicht wahrgenommen, aber jetzt, wo er das Ticken hörte, schien es unablässig lauter zu werden. Lou schaute auf die Tastatur, dann auf die Maus. Auf einmal zuckte er so heftig zusammen, dass die Maus zum zweiten Mal in diesem Jahr gegen seine Stirn knallte – doch diesmal erreichte ihn Cliffs Botschaft. Was auch immer es gewesen sein mochte, wovor Cliff sich gefürchtet und wovon er sich verfolgt gefühlt hatte, Lou wollte auf gar keinen Fall in die gleiche Falle geraten.
So schnell er konnte, krabbelte er unter dem Schreibtisch hervor, fuhr mit den Füßen hastig in seine polierten schwarzen Lederschuhe und verließ das Büro.
27 Heiligabend
In der Grafton Street, der belebten Einkaufsstraße mitten in der Dubliner Innenstadt, wimmelte es von Menschen, die in letzter Minute Geschenke kauften. Man kämpfte um die letzten auf den Regalen verbliebenen Waren, traf überstürzte Entscheidungen, ohne an das Haushaltsbudget oder überhaupt irgendetwas Vernünftiges zu denken, rein nach dem verfügbaren Angebot und der Zeit, die noch blieb. Ob man dabei den Empfänger im Kopf hatte, war zumindest fraglich. Zuerst und vor allem galt es, die benötigten Geschenke einzufahren – die Frage, wer was bekommen sollte, sparte man sich für später auf.
Dieses eine Mal passte sich Lou nicht der panischen Hast an, die um ihn herum ausgebrochen war, sondern schlenderte Hand in Hand und ganz gemächlich mit Ruth und den Kindern durch die Straßen von Dublin und überließ die Hektik den anderen, die an ihnen vorbeieilten und -drängelten. Lou hatte alle Zeit der Welt. Ruth hatte nicht schlecht gestaunt, als er sich trotz seines vorherigen strikten Neins mit ihr verabredet hatte, aber wie üblich hatte sie keine weiteren Fragen gestellt. Offensichtlich erfreut, aber auch mit einer Portion Skepsis hatte sie die Planänderung zur Kenntnis genommen, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Lou Suffern musste ihr noch sehr viel beweisen.
So spazierten sie nun die von Marktständen gesäumte Henry Street entlang, wo Straßenhändler ihre letzten Waren anboten: Spielzeug und Geschenkpapier, übrig gebliebenes Lametta und Weihnachtsbaumkugeln, ferngesteuerte Autos, die auf dem Gehweg zu demonstrativen Zwecken hin und her fuhren – alles wurde den potentiellen Kunden in diesen letzten manischen Stunden des Weihnachtseinkaufs noch einmal schmackhaft gemacht. Auf der sich ständig verändernden Moore Street war neben den traditionellen Ständen auch ein bunter Mix aus asiatischen und afrikanischen Waren ausgestellt. Lou kaufte Rosenkohl bei einem dieser schlagfertigen Marktleute, deren
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