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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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sein und fand, dass die Dinge, die er besaß, ihn als Mensch definierten. Er legte Wert darauf, von allem das Beste zu bekommen, und für ihn waren Größe und Menge Maßstäbe, an denen dies bemessen werden konnte. Obwohl das Haus nur mit wenigen anderen in einer Sackgasse ganz oben auf dem Hügel lag, hatte er die bereits existierenden Grenzmauern höher bauen und am Eingang ein riesiges Automatiktor mit Sicherheitskameras errichten lassen.
    Im Schlafzimmer der Kinder waren die Lichter bereits aus, was Lou mit einer ihm unerklärlichen Erleichterung zur Kenntnis nahm.
    »Ich bin da!«, rief er in das stille Haus.
    Aus dem Fernsehzimmer die Halle hinunter hörte man eine atemlose und ziemlich hysterische Frauenstimme irgendwelche Bewegungsabläufe ansagen. Ruths Fitness- DVD .
    Lou lockerte die Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf, schleuderte die Schuhe von den Füßen, spürte die wohltuende Wärme der Fußbodenheizung durch den Marmor und begann, die Post, die auf dem Tischchen lag, durchzugehen. Allmählich entspannten sich seine Gedanken, das Stimmengeschnatter aus den verschiedenen Meetings und Telefonaten wurde etwas leiser, ohne jedoch ganz wegzugehen. Mit jedem Kleidungsstück, das er ablegte – dem Mantel, den er über eine Stuhllehne warf, dem Jackett, das er auf den Tisch fallen ließ, den Schuhen, die über den Boden schlidderten, der Krawatte, mit der er ebenfalls auf den Tisch zielte, die aber zu Boden rutschte, seiner Mappe hier, Kleingeld und Schlüssel dort –, rückten die Ereignisse des Tages weiter in den Hintergrund.
    »Hallo«, rief er noch einmal, lauter diesmal, und nahm zur Kenntnis, dass niemand gekommen war, um ihn zu begrüßen. Genau genommen meinte er damit nur seine Frau. Vielleicht war sie zu sehr damit beschäftigt, beim Einatmen bis vier zu zählen, wie es die hysterische Frau im Fernsehzimmer anordnete.
    »Schschsch«,
hörte er da ein Zischen aus dem Obergeschoss, gefolgt vom Knarren der Dielen, das die Schritte seiner Frau auf dem Treppenabsatz hervorriefen.
    Das irritierte ihn. Nicht das Knarren, denn das Haus war alt und hatte ein Recht darauf zu knarren, aber dass er zur Ruhe gemahnt wurde, war ein Problem für ihn. Da hatte er den ganzen Tag praktisch ununterbrochen geredet, souverän im Fachjargon diskutiert, seine Überredungskünste eingesetzt und intelligente Konversation gemacht, hatte Deals vorgeschlagen, ausgehandelt und abgeschlossen, und keiner hatte ihn dabei auch nur ein einziges Mal zum Schweigen bringen wollen.
Schschsch –
so redeten Lehrer {91 } und Bibliothekare, nicht erwachsene Menschen in ihrem eigenen Haus. Plötzlich hatte er das Gefühl, die Realität verlassen zu haben und in einem Kinderhort gelandet zu sein. Erst vor einer Minute war er durch die Tür getreten, und schon war er verärgert.
    »Ich habe Pud gerade hingelegt. Er kann mal wieder nicht schlafen«, erklärte Ruth von der Treppe in einem lauten Flüstern. Zwar verstand Lou, warum sie flüsterte, aber er konnte es nicht leiden. Genau wie die Schschsch-Sprache war dieses Geflüster etwas für Kinder in der Schule oder für Teenager, die sich von zu Hause weg- oder nach Hause zurückschlichen. Er mochte keine Einschränkungen, vor allem nicht in seinem eigenen Haus.
    Mit »Pud« meinte seine Frau ihren gemeinsamen Sohn Ross. Er war inzwischen gut ein Jahr alt, konnte sich aber von seinem Babyspeck noch nicht trennen, so dass sein Körper an den ungebackenen Teig eines Croissants erinnerte – oder eben an einen Pudding. Daher kam sein Spitzname Pud, der sich unglücklicherweise durchzusetzen schien.
    »Ganz was Neues«, brummte Lou, womit er auf Puds notorisch mangelnde Schlafbereitschaft anspielte, und kramte dabei in der Post nach etwas, was nicht aussah wie eine Rechnung. Ein paar Umschläge riss er auf und ließ sie wieder auf den kleinen Flurtisch fallen. Papierschnipsel segelten auf den Boden.
    Unterdessen war Ruth in ihrem Velours-Trainings- und/ oder -Schlafanzug die Treppe heruntergekommen. In letzter Zeit konnte Lou nicht mehr richtig unterscheiden, was sie eigentlich anhatte. Ihre langen, schokobraunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sie schlurfte in Hausschuhen auf ihn zu – ein Geräusch, das seinen Ohren weh tat, noch schlimmer als der Staubsauger, {92 } den er bis zu diesem Moment am meisten zu hassen geglaubt hatte.
    »Hi«, begrüßte sie ihn und lächelte. Das müde Gesicht verschwand, und auf einmal war für einen kurzen Moment eine

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