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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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Doch auch in der Gegenwart war einiges los, es gab Pubs für jeden Geschmack, Hotels, ein richtig gutes Fischrestaurant, und der Blick über die Dublin Bay, die Wicklow Mountains und das Boyne Valley war einfach atemberaubend. Eine schmale Landzunge verband die Halbinsel mit dem Rest des Landes – eine schmale Landzunge, die auch Lous Arbeit mit seinem Familienleben verknüpfte. Ein Schnipsel nur, so dass Lou, wenn der Sturm zuschlug, von seinem Bürofenster die wütende Liffey beobachtete und sich vorstellte, wie die wilden grauen Meereswogen über diesen Schnipsel hinwegtobten, an ihm leckten wie Flammen und drohten, die Verbindung zu seiner Familie gänzlich abreißen zu lassen. Manchmal war es diese Version, der Lou in seinen Tagträumen nachhing, manchmal – in seinen positiveren Augenblicken – stellte er sich auch vor, die Seinen unter Einsatz seines Lebens vor der Gewalt der Elemente zu beschützen.
    Hinter ihrem großen Landschaftsgarten, von dem man über die Dublin Bay hinausblickte, war die Natur wild und schroff, lila Heidekraut und hüfthohes Gras. Nach vorn ging der Blick auf Ireland’s Eye, und an klaren Tagen war die Aussicht auf die Insel so sensationell, dass man fast das Gefühl hatte, es wäre eine grüne Leinwand an den Wolken aufgehängt und bis zum Meeresboden ausgerollt worden. Vom Hafen aus erstreckte sich ein langer Pier, auf dem Lou gerne entlangwanderte. Meistens allein. So war es allerdings {85 } nicht immer gewesen, denn seine Liebe zu diesem Ort war entstanden, als er noch ein Kind gewesen war und seine Eltern jeden Sonntag mit ihm, Marcia und seinem großen Bruder Quentin nach Howth gefahren waren, um, ganz gleich bei welchem Wetter, auf dem Pier spazieren zu gehen. Diese Tage waren entweder so warm und sonnig gewesen, dass Lou noch heute beim Betreten des Piers die Eiscreme zu schmecken glaubte, oder es hatte so heftig gestürmt, dass sich die Familie aneinander festhalten musste, damit der Wind sie nicht ins Meer hinausfegte.
    Bei diesen Familienausflügen verschwand Lou in seiner eigenen Welt. Dann war er Pirat auf hoher See. Oder Strandwächter. Oder Soldat. Manchmal sogar ein Walfisch. Er konnte alles sein, was er wollte. Alles, was er sonst nicht war. Jedes Mal, wenn er den Pier betrat, ging er erst ein Stückchen rückwärts und blickte zurück zum Parkplatz, bis das leuchtend rote Familienauto nicht mehr zu sehen war und die Menschen sich in Pinguine verwandelt hatten – dunkle Punkte, die mit verschwommenen Bewegungen in der Gegend herumwatschelten.
    Noch immer liebte Lou die Spaziergänge auf dem Pier; es war seine Startbahn zu Ruhe und Frieden. Er liebte es, wie die Autos und Häuser, die auf der Klippe kauerten, langsam verblassten, während er sich immer weiter vom Land entfernte. Dann stand er Schulter an Schulter mit dem Leuchtturm und blickte zusammen mit ihm hinaus aufs unendliche Meer. Nach einer langen Arbeitswoche konnte er hier all seinen Kummer, all seine Sorgen aufs Wasser hinauswerfen und zuschauen, wie sie mit einem leisen Platschen auf den Wellen aufkamen und dann gemächlich auf den Grund hinuntersanken.
    Aber als Lou an dem Abend des Tages, an dem er Gabe {86 } kennengelernt hatte, nach Hause fuhr, war es zu spät, um noch auf dem Pier spazieren zu gehen. Der Blick ließ sich nicht per Knopfdruck einschalten, er sah nur Dunkelheit und das gelegentliche Aufblitzen eines Leuchtturms. Trotz der späten Stunde und der Tatsache, dass es mitten in der Woche war, präsentierte sich das Städtchen heute nicht wie sonst als stiller, beschaulicher Erholungsort. So kurz vor Weihnachten pulsierte in den Restaurants das Leben, man traf sich zum Essen, zur Weihnachtsfeier, zur Jahresversammlung oder zu irgendwelchen sonstigen Feiern. Alle Boote waren schon für die Nacht an Land gezogen, und auch die Seehunde schliefen schon, die Bäuche voll von den Makrelen, die die Besucher ihnen zugeworfen hatten. Die kurvenreiche Straße, die bergauf zum Hügelkamm führte, war schwarz und still, und da er fast zu Hause war und sich sonst weit und breit niemand in der Nähe befand, trat Lou aufs Gaspedal seines Porsche 911. Er ließ das Fenster herunter, und seine Haare flatterten im Wind, während das Dröhnen des Motors durch Hügel und Bäume hallte. So brauste er den Hang hinauf, und unter ihm glitzerte die Stadt mit ihren Millionen Lichtern und sah ihm nach, wie er sich den bewaldeten Hügel hochschlängelte wie eine Spinne durchs hohe Gras.
    Doch dann hörte er, wie zur

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