Zeit deines Lebens
drängten, und ließ Lou in Frieden. Um ihn herum wogte der Lärm von Menschen, die mit anderen Menschen zusammen sind: Feierabend-Flirts, Feierabend-Streitereien, junge Frauen, die sich in Gruppen um ihren Tisch zusammendrängten und ihre Umgebung ausblendeten, Gruppen junger Männer an der Bar, die mit ihren Blicken angestrengt alles verfolgten, was sich um sie herum abspielte. Auf vielen Tischen standen mit Bierdeckeln zugedeckte Gläser, und an den leeren Plätzen um sie herum konnte man ablesen, dass ihre Besitzer draußen waren, wo sie in den Raucherbereichen ihre Zigaretten anzündeten und neue Beziehungen sondierten.
Lou sah sich um und versuchte, Blickkontakt mit jemandem aufzunehmen. Anfangs war er wählerisch, denn er hätte lieber einer attraktiven Person seine Geschichte zum zweiten Mal erzählt, aber dann beschloss er, nicht so pingelig zu sein. Irgendjemand würde sich doch für das Wunder interessieren, das er erlebte, oder nicht?
Doch der einzige Blick, der seinem begegnete, war wieder der des Barmanns.
»Geb’n Sie mir noch ein’n«, lallte Lou, als er sich näherte. »Ein’n schön’n Jack on the rocks.«
»Ich hab Ihnen doch grade schon einen hingestellt«, entgegnete der Barmann, diesmal ein wenig amüsiert. »Und den haben Sie noch nicht mal angerührt.«
»Na und?« Lou schloss ein Auge, um den Mann besser fixieren zu können.
»Was würde es bringen, wenn Sie zwei auf einmal vor sich stehen haben?«
Das brachte Lou zum Lachen, ein keuchendes Lachen tief aus der Brust, in die sich vorhin der kalte Dezemberwind schutzsuchend geflüchtet hatte, wie eine verängstigte Katze, die beim Krachen des Feuerwerks durch die Türklappe flitzt.
»Ich fürchte, ich hab die Pointe nicht mitgekriegt«, lächelte der Barkeeper. Jetzt, wo es am Tresen ruhig war, konnte er zum Zeitvertreib zwar keine Drinks mehr ausgeben, hatte dafür aber Muße, sich den Betrunkenen zu widmen.
»Ach, hier interessiert sich niemand dafür«, antwortete Lou, auf einmal wieder wütend, und machte eine abschätzige Handbewegung zu den anderen Gästen in der Umgebung. »Die kümmern sich bloß um Sex on the Beach, Hypotheken auf dreißig Jahre und Saint Tropez. Ich hab mal hingehört, und von was anderem reden die hier nicht.«
Der Barmann lachte. »Sagen Sie das lieber nicht so laut. Wofür interessiert sich keiner?«
Lou wurde wieder ernst und fixierte den Barmann mit todernstem Blick. »Fürs Klonen.«
Das Gesicht des Barmanns veränderte sich, und seine Augen leuchteten neugierig auf. Vielleicht bekam er endlich etwas anderes zu hören als das ewiggleiche Gejammer. »Fürs Klonen? Dafür interessieren Sie sich also, was?«
»Interessieren? Ich würde sagen, das ist mehr als Interesse«, {214 } lachte Lou herablassend und zwinkerte dem Barkeeper zu. Dann nippte er an seinem Whisky und nahm Anlauf, seine Geschichte zu erzählen. »Vielleicht ist es schwer zu glauben, aber ich … « – er holte tief Luft – » … ich bin geklont worden«, begann er. »So ein Typ hat mir Pillen gegeben, und ich hab sie genommen«, fuhr er fort und hickste laut. »Wahrscheinlich glauben Sie mir nicht, aber genau das ist passiert. Hab es mit eigenen Augen gesehen.« Dabei deutete er auf seine Augen, verschätzte sich aber in der Entfernung und piekte mit dem Finger hinein. Doch schon ein paar Sekunden später hatte er sich die Tränen abgewischt und fuhr fort: »Es gibt mich zweimal.« Zur Veranschaulichung hob er vier Finger, dann drei, dann einen und schließlich zwei.
»Ach wirklich?«, fragte der Barkeeper, nahm ein Pint-Glas und begann, ein Guinness zu zapfen. »Wo ist denn der andere, Ihr Klon? Ich wette, der ist stocknüchtern.«
Lou lachte wieder keuchend. »Der ist zu Hause bei meiner Frau«, kicherte er. »Und meinen Kindern. Und ich bin hier mit der da.« Er deutete mit dem Daumen nach links.
»Mit wem?«
Lou schaute zur Seite und fiel dabei fast vom Barhocker. »Oh, sie ist – wo ist sie denn geblieben?« Er wandte sich wieder an den Barmann. »Vielleicht ist sie auf dem Klo – sie ist super, wir haben uns echt gut unterhalten. Journalistin. Sie will darüber schreiben. Aber das ist unerheblich. Jedenfalls bin ich hier und habe den ganzen Spaß … « – er lachte wieder laut – » … und mein Klon ist zu Hause bei meiner Frau und den Kindern. Und morgen, wenn ich aufwache, nehme ich gleich noch so eine Tablette – das sind keine Drogen, das ist was Pflanzliches, gegen meine Kopfschmerzen.« Mit ernster Miene
Weitere Kostenlose Bücher