Zeit deines Lebens
lauschten. Alle bis auf Alfred natürlich. Nachdem Lou drinnen seine Kollegen fünf Minuten mit seinen lebhaften Gesten und seinem ausdrucksvollen Mienenspiel beglückt hatte, fingen die Männer im Chor an zu lachen, und Lou draußen erkannte, dass er die Geschichte erzählt hatte, wie er und seine Kollegen in London statt in einem Stripteaseschuppen aus Versehen in einer Schwulenkneipe gelandet waren. Doch während er seine eigenen Konversationskünste beobachtete, schwor er sich, nie wieder von dieser Begebenheit zu sprechen. Er sah aus und benahm sich wie ein arroganter Volltrottel.
Plötzlich spürte er jemanden neben sich.
»Verfolgen Sie mich etwa?«, fragte er, ohne die Augen von der Szene hinter dem Fenster abzuwenden.
»Nein, nein, ich dachte mir nur, dass Sie hierherkommen würden«, antwortete Gabe fröstelnd und steckte die Hände in die Taschen. »Wie machen Sie Ihre Sache da drin? Sie sind der Alleinunterhalter, wie üblich, was?«
»Was geht hier eigentlich vor, Gabe?«
»Sie sind ein vielbeschäftigter Mann, richtig? Jetzt haben Sie bekommen, was Sie wollten. Jetzt können Sie an zwei Orten gleichzeitig sein. Allerdings lässt die Wirkung bis morgen früh nach, darauf sollten Sie sich gefasst machen.«
»Welcher von beiden bin ich denn wirklich?«
»Keiner, wenn Sie mich fragen.«
Lou sah ihn an und runzelte die Stirn. »Mir reicht es für heute mit den tiefen Erkenntnissen. Die bringen mir nichts.«
Gabe seufzte. »Beide sind real. Beide Lous funktionieren so, wie Sie immer funktionieren. Wenn Sie wieder zu einem werden, sind Sie einfach wieder ganz normal.«
»Und wer sind Sie?«
Gabe verdrehte die Augen. »Sie haben zu viele Filme gesehen. Ich bin Gabe. Der Typ, den Sie von der Straße geholt haben.«
»Was ist in den Dingern eigentlich drin?«, wollte Lou wissen und holte die Pillen aus seiner Tasche. »Sind sie gefährlich?«
»Ein bisschen Einsicht ist drin. Und die hat noch keinem geschadet.«
»Aber damit könnten Sie bestimmt viel Geld machen. Wer weiß sonst noch von dem Zeug?«
»Nur die richtigen Leute – die Leute, die sie hergestellt haben. Und versuchen Sie bloß nicht, damit reich zu werden, sonst müssen Sie einigen Personen Rede und Antwort stehen.«
Für den Augenblick steckte Lou zurück. »Gabe, Sie können mich nicht verdoppeln und dann von mir erwarten, dass ich das einfach so hinnehme, ohne nachzufragen. Es könnte ja direkte gesundheitliche Konsequenzen für mich haben, ganz zu schweigen von den lebensverändernden psychischen Folgen. Außerdem muss der Rest der Welt unbedingt davon erfahren – das ist doch der Wahnsinn! Wir müssen uns zusammensetzen und darüber reden.«
»Na klar, wir setzen uns zusammen«, versprach Gabe und musterte Lou aufmerksam. »Und wenn Sie es dem Rest der Welt erzählen, landen Sie entweder in der Gummizelle oder Sie werden in die Freakshow aufgenommen und können in der Zeitung jeden Tag einen Artikel über sich lesen – mit ungefähr der gleichen Zeilenzahl wie bei Dolly, dem geklonten Schaf. Wenn ich Sie wäre, würde ich alles einfach für mich behalten und das Beste aus einer sehr glücklichen Situation machen. Aber Sie sind so blass. Alles in Ordnung?«
Lou lachte hysterisch. »Nein! Überhaupt nichts ist in Ordnung. Dieses Zeug, das Sie mir gegeben haben, ist nicht normal. Warum tun Sie dauernd so, als wäre es etwas ganz Alltägliches?«
Gabe zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich, weil ich daran gewöhnt bin.«
»Daran gewöhnt?« Lou knirschte mit den Zähnen. »Und – wohin soll ich jetzt gehen?«
»Na ja, Sie haben sich um den Termin im Büro gekümmert, und es sieht ganz danach aus, als würde sich Ihre andere Hälfte um das Treffen hier kümmern«, grinste Gabe. »Da bleibt für Sie noch ein ganz spezieller Ort, wo Sie hingehen könnten.«
Lou dachte darüber nach. Kurz darauf breitete sich ganz langsam ein Lächeln über sein Gesicht aus, seine Augen begannen zu strahlen, und er hatte zum ersten Mal an diesem Abend das sichere Gefühl, Gabe zu verstehen. »Okay, gehen wir.«
»Was?« Gabe schien verdutzt. »Wohin denn?«
»In den Pub. Der erste Drink geht auf mich. Mann, was machen Sie denn für ein Gesicht? War es nicht das, was Sie gemeint haben?«
»Nein. Ich meinte
nach Hause
, Lou.«
»Nach Hause?« Lou verzog das Gesicht. »Warum sollte ich nach Hause gehen?«
Er wandte sich noch einmal um und betrachtete sich selbst an dem Tisch im Restaurant, wie er gerade zur nächsten Anekdote ansetzte. »Oh,
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