Zeit deines Lebens
links und nach rechts und ging schließlich ins Schlafzimmer zurück. »Waschlappen sind …?«
»Im Wäscheschrank«, ergänzte Ruth.
»Natürlich.« Er ging zum Wäscheschrank und betastete, ohne Tasche und Mantel abzulegen, die verschiedenfarbigen Waschlappen. Braun, beige oder weiß? Er konnte sich nicht entscheiden. Schließlich wählte er Braun, ging zurück zu Lucy und Ruth, hielt die Waschlappen im Badezimmer unter den Wasserhahn und gab sie dann seiner Frau, wobei er hoffte, dass er alles richtig gemacht hatte.
»Noch nicht«, erklärte Ruth. Lucy hatte gerade eine Pause, und Ruth streichelte ihr beruhigend den Rücken.
»Okay, wo soll ich sie hinlegen?«
»Neben Lucys Bett. Und könntest du bitte ihr Bett frisch beziehen? Sie hatte einen kleinen Unfall.«
Lucy begann wieder zu weinen und kuschelte sich erschöpft an die Brust ihrer Mutter, die ebenfalls bleich und müde wirkte, die Haare streng zurückgezurrt, die Augen rot und geschwollen. Offenbar war die Nacht ziemlich anstrengend gewesen.
»Die Laken sind auch im Wandschrank. Und das Iberogast steht im Arzneischrank in der Kammer.«
»Das was?«
»Iberogast. Magenmittel. Lucy mag Pfefferminz. O Gott«, sagte sie dann, schlug sich die Hand vor den Mund, sprang auf und rannte den Flur hinunter zum Elternbad.
Jetzt war Lou allein mit Lucy, die mit geschlossenen Augen an der Badewanne lehnte und schläfrig zu ihm aufschaute. Er verließ rückwärts das Bad und fing an, ihr Bett abzuziehen. Während er dabei war, hörte er Pud aus dem Nebenzimmer weinen. Seufzend stellte er endlich seine Aktentasche ab, zog Mantel und Jackett aus und schleuderte beides von sich, mitten in Doras Zelt. Dann öffnete er den obersten Hemdknopf und krempelte die Ärmel auf.
Lou starrte tief in seinen Jack Daniels auf Eis und ignorierte den Barmann, der sich über den Tresen beugte und wütend in sein Ohr sprach.
»Haben Sie mich gehört?«, knurrte der Mann.
»Ja, ja, meinetwegen«, antwortete Lou, aber seine Zunge stolperte über die Worte wie ein Fünfjähriger über seine offenen Schnürsenkel. Außerdem hatte er sofort wieder vergessen, was der Barmann ihm gesagt hatte. Wegwerfend {211 } wedelte er mit der Hand durch die Luft, als wollte er eine Fliege verscheuchen.
»Nein, nicht
meinetwegen
, Kumpel. Lassen Sie die junge Dame in Ruhe, verstanden? Sie möchte sich nicht mit Ihnen unterhalten, sie möchte Ihre Geschichte nicht hören, sie interessiert sich nicht für Sie. Ist das klar?«
»Ja, okay«, brummelte Lou, und jetzt fiel ihm auch die unhöfliche Blondine wieder ein, die ihn einfach ignorierte. Er konnte gut auf ein Gespräch mit ihr verzichten, sie steuerte ja sowieso so gut wie nichts bei, und die Journalistin, mit der er vorhin geredet hatte, schien auch nicht viel mehr Interesse an seiner erstaunlichen Lebensgeschichte zu haben. Also glotzte er weiter in seinen Whisky. Heute Abend war etwas Außergewöhnliches geschehen, aber keiner wollte etwas davon hören. War die Welt verrückt geworden? Waren alle so an neue Erfindungen und wissenschaftliche Entdeckungen gewöhnt, dass die Vorstellung eines geklonten Menschen jede Schockwirkung verloren hatte? Nein, die jungen Besucher dieser trendigen Bar wollten lieber ihre Cocktails schlürfen. Die jungen Frauen gondelten mitten im Dezember mit gebräunten Beinen und kurzen Röcken durch die Gegend, die Haare blond gesträhnt, Designer-Handtaschen über den ebenfalls gebräunten Armen, und alle sahen so exotisch und fehl am Platz aus wie eine Kokosnuss am Nordpol. Ihre Aufmachung war ihnen wichtiger als die wahrhaft großen Ereignisse im Land. Ein Mann war geklont worden. Heute Nacht existierten zwei Lou Sufferns in der Stadt. Bilokation war Realität geworden, ein Mensch konnte sich gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten aufhalten. Lou lachte leise in sich hinein und schüttelte den Kopf. Das war alles so komisch. Er allein wusste Bescheid über die {212 } unendlichen Möglichkeiten des Universums, und niemand interessierte sich dafür.
Da er den Blick des Barkeepers wieder auf sich gerichtet fühlte, stoppte er sein Sologelache und konzentrierte sich stattdessen wieder auf das Eis in seinem Glas. Er beobachtete, wie es herumrutschte und versuchte, es sich gemütlich zu machen, aber alles Drehen und Wenden half nichts, es versank nur immer tiefer in der Flüssigkeit. Allein vom Zuschauen konnten einem die Augen zufallen. Endlich wandte der Barmann sich wieder den anderen Leuten zu, die sich am Tresen
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