Zeit deines Lebens
den kalten Badezimmerfliesen und lehnte sich an die Badewanne, während der kleine Körper seiner Tochter sich immer wieder zusammenkrampfte und die letzten Reste ihres Mageninhalts nach oben beförderte.
»Daddy … « Ganz klein war das Stimmchen, das durch die Tränen kam.
»Alles okay, Schätzchen, ich bin da«, wiederholte er verschlafen. »Es ist beinahe vorbei.« Wie viel mehr konnte ihr kleiner Körper denn noch von sich geben?
Alle zwanzig Minuten war er aus Lucys Bett aufgestanden, wo er neben ihr ein bisschen geschlafen hatte, war mit ihr ins Bad gewankt, wo sie sich erbrochen hatte und ihr Körper innerhalb weniger Augenblicke die Temperatur wechselte, von eiskalt zu glühend heiß und wieder zurück. Normalerweise war es Ruths Aufgabe, die ganze Nacht mit den Kindern aufzubleiben, ob sie krank waren oder nicht, aber zu Lous Pech – und ihrem eigenen – machte sie das Gleiche durch wie ihre kleine Tochter, in ihrem eigenen Badezimmer ein Stück weiter den Flur hinunter. Magen-Darm-Grippe, die sich häufig um die Weihnachtszeit ausbreitete, ein unwillkommenes Geschenk zum Jahresende für diejenigen, deren Abwehrkräfte sich schon vor dem offiziellen Datum vom alten Jahr verabschieden wollten.
Lou trug Lucy wieder ins Bett zurück, und sie schlang die Arme fest um seinen Hals. Sie schlief bereits wieder, völlig erschöpft von den Anstrengungen dieser Nacht. Lou legte sie ins Bett, deckte ihren jetzt wieder kühlen Körper warm zu und platzierte ihren Lieblingsteddy dicht neben ihrem Gesicht, wie Ruth es ihm in einer Brechpause gezeigt hatte. Da vibrierte wieder sein Handy auf dem Pink-Princess-Nachttischchen. Inzwischen war es vier Uhr morgens, und es war der fünfte Anruf, den er von sich selbst bekommen hatte. Als er einen Blick auf das Display warf, erschien sein eigenes Gesicht.
»Was ist jetzt schon wieder?«, flüsterte er ins Telefon, {219 } bemühte sich aber, Lautstärke und Wut so weit wie möglich in Schach zu halten.
»Lou! Ich bin’s – Lou!«, ertönte die betrunkene Stimme am anderen Ende, gefolgt von einem dröhnenden Lachen.
»Hör auf mich anzurufen«, sagte Lou, ein bisschen lauter.
Im Hintergrund hörte man stampfende Musik, laute Stimmen und ein Geschnatter unspezifischer Worte. Gläser klirrten, jemand rief etwas Unverständliches, und alle paar Sekunden ertönten Lachexplosionen aus unterschiedlichen Ecken des Raums. Man konnte sich fast einbilden, die Alkoholdämpfe zu riechen, die versuchten, sich durchs Telefon in Lucys friedlich unschuldige Welt zu schleichen. Instinktiv hielt Lou die Hand über den Hörer, um zu verhindern, dass die Erwachsenenwelt ihren kindlichen Schlaf störte.
»Wo bist du überhaupt?«
»Leeson Street. Irgendwo«, brüllte er zurück. »Ich hab ’ne Frau kennengelernt, Lou«, faselte die Stimme weiter. »Verdammt heiß! Du wärst stolz auf mich. Nein, du wärst natürlich stolz auf dich!« Erneut das dröhnende Gelächter.
»Was?!«, blaffte Lou. »Nein! Fang bloß nichts mit ihr an!«, rief er. Einen Moment flatterten Lucys Augenlider wie zwei kleine Schmetterlinge, und große braune Augen starrten ihn erschrocken an. Aber als sie ihren Daddy erkannte, verschwand der alarmierte Ausdruck, ein kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen, und die Augen schlossen sich wieder. Das Vertrauen, das sie mit diesem kurzen Blick ausgedrückt hatte, berührte Lou tief. Er begriff, dass er ihr Beschützer war, derjenige, der ihr die Angst nehmen und ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern konnte, und dieses {220 } Gefühl war besser als alles, was er jemals in seinem Leben gefühlt hatte. Besser als der Deal, den er vorhin beim Dinner abgeschlossen hatte, besser als Alfreds Gesichtsausdruck, mit dem er Lou im Restaurant empfangen hatte. Auf einmal hasste er den Mann am anderen Ende der Leitung, ja, er verabscheute ihn so, dass er ihn am liebsten geschlagen hätte. Seine Tochter kotzte sich die Seele aus dem Leib, sie war so fertig und erschöpft, dass sie kaum die Augen offen halten konnte, von Stehen ganz zu schweigen, und dieser Kerl hockte in der Kneipe, soff sich um den Verstand, baggerte irgendwelche Frauen an und erwartete ganz selbstverständlich von Ruth, dass sie all das hier ohne ihn erledigte. Er verabscheute den Mann am anderen Ende der Leitung von ganzem Herzen.
»Aber sie ist echt heiß, du solltest sie mal sehen«, lallte der unterdessen weiter.
»Vergiss es«, antwortete Lou scharf, mit leiser, drohender Stimme. »Ich schwöre bei Gott,
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