Zeit der Eisblueten
ernstem Gesicht bedeutete, er solle auf dem Beifahrersitz Platz nehmen.
»Mir bleibt keine Wahl«, sagte Dawson mit leichtem Bedauern. »Ich muss sie verhaften. Dies ist keine Bagatelle, sondern ein Kapitalverbrechen. Sie wird wegen des Diebstahls von Krankenhauseigentum, des Verkaufs rezeptpflichtiger Medikamente und wegen Betrugs belangt werden. Obendrein ist heute Morgen auch noch Andrew Hogg mit neuem Beweismaterial zu uns gekommen. Das wissen Sie vermutlich schon.«
»Ja. Darum möchte ich mit den Kindern sprechen. Ich kann Ihnen sagen, es war ein entsetzlicher Schock«, versicherte Dafydd. »Ich hatte mich gerade an den Gedanken gewöhnt, ihr Vater zu sein.«
»Sie haben mein vollstes Mitgefühl, Dr. Woodruff. All das muss sich verheerend auf Ihr Leben ausgewirkt haben. Der Plan, den sie ausgeheckt hatte, war wirklich erstaunlich.« Dawson schien fast beeindruckt zu sein. »Ich glaube, Sie sollten sich ebenfalls einen Anwalt besorgen. Es ist nur eine Formalität, sie hat alles zugegeben. Sie werden die Briefe benötigen, die sie Ihnen geschickt hat, und die Ergebnisse des DNA-Tests sowie alle anderen Unterlagen; aber Ihr Anwalt wird Ihnen all das noch erklären. Ich wollte es nur erwähnen, damit Sie die entsprechenden Schritte einleiten können.«
Dafydd seufzte tief und öffnete die Wagentür.
»Eine Stunde«, sagte Dawson, »mehr nicht. Erklären Sie’s den Kindern. Und vielleicht könnten Sie, wenn’s Ihnen nichts ausmacht, Ms Hailey bitten, einige persönliche Sachen einzupacken. Ich warte hier, und Hopwood steht an der Rückseite. Nur damit es keine Fragen gibt …«
Dafydd klingelte an der Tür, und Sheila ließ ihn ein. Mark und Miranda standen ängstlich hinter ihr. Offensichtlich wussten sie, dass etwas Schwerwiegendes geschehen war. Sobald Dafydd das Haus betreten hatte, befahl Sheila den Kindern, nach oben zu gehen, sehr zu deren Bestürzung und Verärgerung. Dann deutete sie in Richtung Wohnzimmer und setzte sich ihm gegenüber auf das zweite Sofa.
»Was hast du ihnen erzählt?«, fragte Dafydd leise.
Sheilas Augen waren verquollen, und ihr Gesicht wirkte blass und finster. Sie trug kein Make-up, und statt ihrer normalerweise so makellosen und figurbetonten Kleidung hatte sie sich einen formlosen Jogginganzug aus genoppter hellblauer Baumwolle übergezogen.
»Oh, sie wissen, dass du nicht ihr Vater bist. Ich habe es ihnen heute Morgen gesagt. Und außerdem – glaubst du wirklich, dass so etwas in Moose Creek auch nur einen Tag lang verheimlicht werden kann? Sei kein Narr.«
Er schluckte seinen aufsteigenden Ärger hinunter. Ihm fiel ein, wie er sie damals in einem Wutanfall geohrfeigt hatte. Wie einfach und befriedigend das jetzt wäre, aber er musste seine Feindschaft während dieser letzten Auseinandersetzung mit Sheila noch einmal zügeln. Gleichzeitig war er überrascht und fast von Bewunderung erfüllt, weil sie offenbar keinerlei Reue verspürte. Sie schien nicht die Spur von Scham oder Demütigung darüber zu empfinden, dass ihre Taten nun ans Licht gekommen waren.
»Ich weiß, dass Hogg ihr Vater ist«, sagte Dafydd. »Das streitest du doch nicht ab, oder?«
»Das geht dich überhaupt nichts an«, entgegnete sie scharf. »Warum bist du überhaupt hier? Warum zwitscherst du nicht ab nach Hause? Du hast hier nichts mehr zu schaffen.« Sie warf ihm einen höhnischen Blick zu. »Du kannst abtreten.«
»Nein, noch nicht«, erwiderte er ruhig. »Ich will sicherstellen, dass Mark und Miranda versorgt sind … anständig. Ich bin überzeugt, dass Hogg sie mit Freuden bei sich aufnimmt, wenn sie das wollen. Oder ich könnte beantragen, sie in Pflege zu nehmen, weil sie mich gut kennen. Ich habe ein paar Erkundigungen eingezogen, und in ihrem Alter haben sie ein gewisses Mitspracherecht, bei wem sie wohnen möchten.«
»Du beliebst wohl zu scherzen«, entgegnete sie spöttisch und ungläubig. »Du bist genauso ein erbärmliches Weichei, wie ich’s erwartet habe. Nun schlägst du vor, meine Kinder zu übernehmen, obwohl du weißt, dass es nicht deine sind?«
»Ja, warum nicht? Ich könnte hier vorläufig einziehen. Auf diese Weise bringen wir ihr Leben nicht allzu sehr durcheinander.«
Sheila starrte ihn an. »Verpiss dich«, zischte sie. »Glaubst du wirklich, dass ich dich in mein Haus einziehen lasse und dir meine Kinder übergebe?«
»Okay. Dann streich das. Worin bestehen die Alternativen? Darin, dass sie bei Hogg, ihrem natürlichen Vater, der sie wirklich gern hat, wohnen,
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