Zeit der Eisblueten
mein Gott«, jammerte sie, »liebster Dafydd, was haben Sie getan?« Gleichzeitig knöpfte sie sein Hemd auf.
»Mein Freund ist tot«, sagte er, ohne die Augen zu öffnen. »Meine Ehe ist beendet. Meine Kinder sind nicht meine Kinder, und ich werde nie wieder auf meiner Gitarre spielen, und sie wurde ohnehin gestohlen, und mein Haus ist an irgendwelche schrecklichen Leute verkauft worden, und ich bin high von Demerol. Sehr gutes Zeug. Das hab ich all die Jahre verpasst … Mist.«
»Oh, Dafydd.« Tillie nahm sein Gesicht zwischen ihre kleinen Hände und küsste ihn mehrfach auf die Stirn. Es war sehr angenehm, geküsst zu werden, und er lächelte. Als Nächstes küsste sie ihn auf die Lippen. Es waren winzige, schnelle Küsse, mit denen sie seinen Mund von der einen Seite zur anderen bedeckte. Er legte die Arme um sie, und sie presste ihn fest an sich. Er drückte sein Gesicht in ihr weiches Haar und ertrank in ihrer Umarmung, verlor sich in ihr.
Als Nächstes nahm er wahr, dass sie beide unter dem purpurnen Samt lagen und sie ihn noch immer küsste. Er erwiderte ihre Küsse. Es fühlte sich so schön, so warm, so feucht an. Er bemerkte vage, dass er fast nackt war. Oder vielleicht völlig nackt. Egal, zumindest hatte sie Kleidung an. Er spürte, wie ihre Hände die Haut auf seinem Rücken streichelten, seinen Hintern, seine Hüften. Es war so angenehm, dass er ihr nicht Einhalt gebieten wollte. Irgendetwas rührte sich in seiner Leistengegend, ein Pulsieren und Pochen, und er zog sie näher an sich heran und drückte sie mit seinen Unterarmen an sich. Sie rollte sich auf ihn, und seine Erektion blieb irgendwo zwischen ihren Knien stecken.
Ihr Körper war so kurz, so klein. Es fühlte sich seltsam, verdorben an, als umarmte er ein Kind. Dieses Missverhältnis zwischen ihrer kindlichen Gestalt und ihrem fraulichen Verlangen brachte ihn schlagartig an die Oberfläche der Wahrnehmung zurück, und ihm wurde bewusst, dass er kurz davor war, ihr die Kleider mit den Zähnen vom Leib zu reißen und sie zu nehmen. Er sehnte sich so sehr danach, umhüllt und verschluckt, entrückt und weit fort an einen anderen Ort gebracht zu werden, aber es war Wahnsinn. Morgen würde er aufwachen … mit Tillie. Er wusste, dass er es bereuen würde.
»Tillie, nein«, sagte er schwach. »Wir dürfen das nicht tun.«
»Warum nicht?«, widersprach sie und fuhr fort, ihre heißen kleinen Lippen auf seine zu pressen.
»Du nutzt meinen Zustand aus. Es ist falsch. Ich bin bis unter die Stirn mit Drogen vollgepumpt.«
Tillie kicherte. »Das ist gut.«
»Nein, im Ernst.« Er war jetzt bei vollem Bewusstsein und schob sie mit den Unterarmen sanft von sich weg. »Meine Hände tun entsetzlich weh«, log er. »Ein Finger ist mir amputiert worden. Bitte, Tillie. Ich kann das nicht. Es tut mir wirklich leid.«
Sie blickte mit gerunzelter Stirn auf ihn hinab. »Amputiert? Oh, Dafydd, wie schrecklich.« Er merkte, dass sie wusste, was er in Wirklichkeit gemeint hatte. Er wollte es einfach nicht tun, weil er es nicht weiterführen konnte. Ihre Enttäuschung war offenkundig. Sie rollte sich von ihm weg und brachte ihre Kleidung wieder in Ordnung.
»Ich werde dir eine Tasse Tee holen«, sagte sie leise und verließ das Zimmer.
Sekunden später war er weit, weit fort.
Dafydd schlenderte durch die Stadt. Wären die Geschehnisse der vergangenen achtundvierzig Stunden und die Verabredung nicht gewesen, zu der er gerade unterwegs war, hätte ihm das geschäftige Treiben des Frontier Day wirklich Spaß gemacht. Beim Frontier Day handelte es sich um einen vorweihnachtlichen Feiertag mit Hunderennen und anderen für Besucher ungewöhnlichen Wettkämpfen. Aus allen Teilen der Stadt ertönten das Kläffen, Jaulen und das gelegentliche wilde Gebell der Hundeteams, die, auf unterschiedlichen geräumten Flächen an Pfähle oder Fahrzeuge gebunden, gespannt auf ihren Einsatz im Wettkampf warteten. Die Hundeschlittenführer und ihre Familien aus allen Gegenden der Northwest Territories sowie aus Yukon, Alaska und Alberta waren gern gesehene Gäste, und die Atmosphäre aus Fröhlichkeit, Sport und allgemeinem Jubel wurde zusätzlich durch die billigen Weihnachtsdekorationen belebt, die über Nacht in allen Teilen der Stadt aufgetaucht waren.
Dafydd wappnete sich für die Begegnung. Mike Dawson saß in seinem Auto vor Sheilas Haus, als Dafydd wie vereinbart um Punkt elf Uhr eintraf. Dafydd nickte dem Kommandanten der Royal Canadian Mounted Police zu, der ihm mit
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