Zeit der Finsternis
für einen bestimmt ist. So erging es mir mit Julian, Max mit Valentina und Dorian ausgerechnet mit meiner Schwester Caroline...
"Wir sind gleich da!", rief Julian, als wir uns dem Basislager am Fuße des Mount Everest näherten und riss mich aus meinem Grübeln.
Auf dem Rollfeld wartete bereits eine kleine Propellermaschine auf uns. Ich sprang von einem großen Felsen hinab und landete direkt neben Julian, der lächelnd meine Hand nahm. "Was für ein toller Tag!", lachte er ausgelassen. Wir hatten tatsächlich nur einen Tag für unseren Auf- und Abstieg gebraucht und trotz der langen Reise davor, war mein Körper nicht im Geringsten erschöpft. Doch langsam machte sich ein Brennen in meinem Hals bemerkbar. Als hätte Julian meine Gedanken gehört, griff er hinter sich in den Rucksack, zog geschickt eine Flasche heraus und reichte sie mir.
"Danke, genau das brauche ich jetzt." Gierig schraubte ich den Verschluss auf und trank die sie in drei Zügen leer. Die Menge würde meinen Hunger bis zum Flughafen in Nepal unterdrücken. Obwohl wir schon so lange Zeit nur noch von Tierblut lebten, war die Versuchung von menschlichem Blut allgegenwärtig. Wir hatten unser Verlangen danach zwar sehr gut unter Kontrolle, trotzdem wollte ich es nicht riskieren, hungrig mit zwei Menschen in ein winziges Flugzeug gepfercht zu werden.
Hand in Hand liefen Julian und ich zur Rollbahn, über die ein schneidend kalter Wind fegte. An manchen Tagen war der Wind so stark, dass kein Flugzeug starten oder landen konnte. Heute schienen die Piloten aber nicht weiter beunruhigt zu sein, denn unsere Maschine stand bereit. Ein Mann in Warnweste stand neben der Treppe und winkte heftig. Wir bemühten uns, nicht zu schnell zu laufen und sprangen die Stufen hinauf. Der Mann, der uns zuvor gewunken hatte, sah mich lächelnd an. Er murmelte etwas, von dem ich nur
"abhiram"
verstand. Ich erwiderte höflich sein Lächeln und wandte mich an Julian, als wir das Flugzeug betraten. "Was hat er gesagt?", fragte ich ihn, denn mein nepalesisch war noch lange nicht so gut wie seins. "Er fand dich wohl sehr hübsch.", schmunzelte Julian und ließ sich in den Sitz fallen. Draußen wurde die Kabinentür verschlossen und der Kapitän sah sich Stirnrunzelnd zu uns um. Er schien etwas verärgert über unsere Verspätung zu sein, grummelte
"abela"
in sich hinein und schloss, immer noch schimpfend, die Tür zum Cockpit.
Die Propeller machten einen Höllenlärm und die ganze Maschine ratterte und wackelte. Das war alles andere als vertrauensselig, doch weder Julian noch ich hatten Angst, dass wir abstürzen könnten. Zwar wären wahrscheinlich sogar unsere Knochen nach so einem Absturz zerschmettert, aber glücklicherweise auch ebenso schnell wieder geheilt. Also ließen wir uns entspannt in unsere Sitze zurücksinken und blickten aus dem Fenster, als das Flugzeug mit viel Getöse abhob.
Julian nahm sanft meine Hand in seine. Ich schmiegte meinen Kopf an seine Brust und atmete den betörenden Duft ein, den er verströmte. Seufzend schloss ich die Augen. Nie wieder würde ich Julian verlassen, wir würden die Ewigkeit miteinander verbringen und der Gedanke daran, ließ mein Herz vor Freude schneller schlagen.
***
Nach der Landung in Nepal bahnten wir uns den Weg durch das hektische Treiben auf dem Flughafen. Es wimmelte von Menschen und ihren Gerüchen und langsam wurde ich wieder hungrig. Julian nickte mir fast unmerklich zu, denn auch er schien dringend Blut zu benötigen. Wir zogen uns in eine abgelegene Ecke zurück und Julian öffnete zitternd den Rucksack. Vier Flaschen waren noch übrig. Eine drückte er mir in die Hand und schraubte dann schnell den Deckel von seiner ab. Hastig schluckte er die dunkelrote Flüssigkeit und griff sofort zur Zweiten. Ich trank meine Ration in langsamen Schlucken leer und schüttelte den Kopf, als er mir die Letzte geben wollte.
"Lass uns die lieber aufheben.", erklärte ich ihm, als Antwort auf seinen fragenden Blick. Julian zuckte die Schultern und steckte sie zurück in den Rucksack. "Wie du meinst." Sein Ton klang argwöhnisch, er konnte sich nicht vorstellen, dass ich von dieser Menge satt geworden war.
Mein Blick blieb an einem kleinen Mädchen hängen, das die Hand seiner Mutter hielt, die gerade irgendetwas in ihrer Handtasche suchte. Sie betrachtete Julian und mich neugierig und ihre schwarzen Mandelaugen funkelten. Anscheinend hatte ihre Mutter gefunden, wonach sie suchte, denn sie blickte auf, sah erst zu ihrer Tochter
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