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Zeit der Geheimnisse

Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Nicholls
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Versionen) und proben für unsere Aufführung. Wir machen ein modernes Krippenspiel. Bei uns zu Hause gab es nie genug Rollen für alle, sodass die meisten schließlich als zusätzliche Hirten oder Engel endeten, aber hier muss jeder außer Maria und Josef zwei Rollen übernehmen. Ich bin ein Engel mit Pappflügeln und ein Gastwirt.
    »Ja«, sage ich, »ihr könnt in meiner ausgebauten Garage übernachten.«
    Ich wünschte, Grandpa hätte eine ausgebaute Garage, die mein Grüner Mann haben könnte. Er ist schließlich auch so eine Art Gott, wie Jesus.
    Hannah und Josh spielen Maria und Josef. Armes Jesuskind. Josh ist kein Zimmermann, sondern ein Klempner. Zimmerleute sind nicht modern genug.
    »Du kannst überhaupt kein Baby kriegen«, sagt er zu Hannah. »Wir sind doch gar nicht verheiratet!«
    »Das denkst du«, sagt Hannah. »Es ist aber der Sohn Gottes, also!«
     
    Am letzten Tag vor den Ferien schneiden wir alte Weihnachtskarten auseinander, um Kalender daraus zu machen. Ich überlege, wer meinen dieses Jahr bekommen soll – Grandpa oder Dad? Ich beschließe, einfach zu warten, wem Hannah ihren schenkt, und dann nehme ich den, der übrig bleibt. Aber traurig ist es schon. All die Jahre standen unsere Kalender nebeneinander auf dem Kühlschrank in unserer alten Küche. Ich schaue zu Hannah hinüber, um zu sehen, ob sie auch traurig ist, aber sie ist damit beschäftigt, einem Weihnachtskarten-Josef Hörner und einen langen Schwanz zu malen, und scheint kein Problem zu haben.
    Mittags ist es sehr kalt. Vor der Mauer, die im Schatten liegt, ist es glatt. Die Jungen fangen an zu schlittern, und bald machen wir alle mit, sogar Emily. Hannah und Josh versuchen sich gegenseitig umzuwerfen. Nachdem sie mich zweimal fast umgestoßen haben, schlittere ich so weit entfernt von den beiden wie möglich über den gefrorenen Boden.
    Plötzlich muss ich daran denken, wie ich einmal nicht zur Schule musste, weil ich einen Termin beim Zahnarzt hatte. Mum und ich gingen gerade zurück zum Auto, als wir mitten in der Stadt eine Eisbahn sahen, so eine ohne Dach darüber.
    »Komm, wir gehen Schlittschuh laufen«, sagte Mum, und das haben wir dann auch gemacht. Erst hab ich mich ganz am Rand gehalten und wusste nicht, was ich tun sollte, aber dann hat Mum mich an der Hand genommen und gezogen, und dann sind wir immer im Kreis gelaufen, immer schneller, bis uns beiden ganz heiß war und wir nur noch gelacht haben und ich gar keine Angst mehr hatte. Das hatte ich schon ganz vergessen.
    Nachdem mir das wieder eingefallen ist, will ich nicht mehr schlittern. Ich hocke mich drüben an die Schulmauer, sehe den anderen zu und frage mich, ob der Grüne Mann wohl inzwischen tot ist.
    Da kommt Matthew und stopft mir von hinten Eiszapfen in den Kragen.
    Auf einmal ist mir nach Weinen zumute, und so sollte man sich eigentlich nicht fühlen, nicht am letzten Schultag und vier Tage vor Weihnachten.
     
    Nachmittags geht es mir besser. Wir führen unser Stück auf, und alle Eltern kommen und sehen zu. Eigentlich sind das nur neun Leute, außerdem Grandpa und Grandma und Miss Shelley und Mrs. Angus, aber einer von den neun ist Dad, und deshalb ist mir alles andere egal. Er kommt zusammen mit Grandma und Grandpa herein, und sobald ich sein schiefes Gesicht sehe, geht aus meinem ganzen Körper die Luft raus. Bis dahin hatte ich gar nicht gemerkt, dass ich sie angehalten hatte. Ich bin so überrascht wie immer, wenn ich ihn sehe – dass er so aussieht wie immer und dass er noch nicht weiter von uns weggerückt ist, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Alle lachen an den richtigen Stellen und sagen hinterher, dass ihnen das Stück gefallen hat, und dann gibt es Tee und Kaffee und Orangensaft und Mince Pies, kleine Kuchen mit einer Füllung aus Dörrobst.
    Eigentlich sollte nach dem Stück das Unterhaltungsprogramm zu Ende sein, aber Miss Shelley unterhält sich mit Dad über uns. Sie erzählt ihm von den Gedichten, die wir für unser Wikingerprojekt geschrieben haben, und so muss Hannah aufstehen und ihres laut vorlesen.
    Wikinger
    von Hannah Brooke
     
                                          Es wohnen im Norden
                                          die Wikingerhorden.
                                          Sie raufen
                                          und

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