Zeit der Geheimnisse
Geschenke?«
»Jede Menge.«
Hannah ist es egal, ob es die richtigen Geschenke sind oder nicht. Sie leert ihren Strumpf auf der Bettdecke aus und fängt gleich an, das Geschenkpapier aufzureißen. Ein weicher Stoffhund kommt zum Vorschein, eine Pralinenmischung, eine CD … und jetzt kann ich auch nicht länger warten.
Und alles ist gut. Keine Ahnung, ob Dad die Sachen selbst gekauft hat oder ob Grandma oder eine meiner Tanten ihm geholfen haben, aber das ist auch nicht wichtig. Alles, was da sein muss, ist auch da, und noch mehr – ein Buch von Jacqueline Wilson, sogar ein gebundenes (Mum hat immer nur Taschenbücher gekauft), ein Notizbuch mit Einhörnern und Einhornaufklebern, ein Freundschaftsbänder-Set und die DVD von Der geheime Garten , was entweder ein Versehen von Tante Rose war oder aber – bestimmt, ganz bestimmt – heißt, dass wir bald wieder nach Hause zurückziehen, schließlich hat Grandpa gar keinen DVD-Spieler.
Das Allerbeste aber ist der kleine Berg von Sachen unten in einem Kopfkissenbezug, die wie alle Weihnachtsgeschenke von Dad aus dem UNICEF-Katalog stammen. Von allem, was wir bekommen haben, sind es die am wenigsten aufregenden – ein T-Shirt mit einer Taube drauf, ein Puzzle und ein Kochbuch mit Rezepten aus aller Welt. Hannah beachtet ihre kaum. Aber ich behalte meine nah bei mir, weil ich bei ihnen ganz sicher weiß, dass sie von Dad sind.
Weihnachten.
Ich bekomme Geschenke von allen möglichen Leuten, die mir normalerweise nie was schenken. Sogar von Leuten, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt – eine GroßtanteJune, die Grandpas Schwester ist und Katzen züchtet, und Terry und Maggie, die nebenan wohnten, als ich noch ein Baby war, und eine gewisse Linda, von der sogar Dad noch nie gehört hat.
»Wer sind diese Leute?«, fragt Hannah.
»Leute, denen ihr am Herzen liegt«, sagt Dad, aber auf Hannah macht das wenig Eindruck.
»Muss ich jetzt etwa allen schreiben und mich bedanken?«, sagt sie und wedelt mit einer Flasche Schaumbad herum. »Selbst für so was hier?«
»Wenn du dich so benimmst«, sagt Grandma, »überleg ich mir nächstes Jahr gut, ob ich mir überhaupt die Mühe mache, dir was zu schenken.«
»Aber über das Geschenk von euch hab ich mich doch gefreut«, sagt Hannah schnell.
Ich habe Rollschuhe von Grandpa und Grandma bekommen, aber Hannah haben sie lieber Geld geschenkt, was sie viel besser findet.
Als alle Geschenke ausgepackt sind, sitzen wir still zusammen im dunklen Wohnzimmer. Nur am Weihnachtsbaum in der Ecke leuchten kleine Lichter in allen möglichen Farben und spiegeln sich im Lametta. Ich glaube, etwas Schöneres als einen Weihnachtsbaum gibt es auf der ganzen Welt nicht.
Hannah setzt sich auf den Boden und ordnet ihre Geschenke neu. Hannah kann nie lange still sitzen. Grandpa sitzt zurückgelehnt in seinem Sessel und betrachtet Dad. Grandma trinkt ihren Weihnachts-Sherry und betrachtet Grandpa, der uns betrachtet.
Das ist meine Familie, denke ich. Ich kneife die Augen ganz fest zu, um das Bild in meinem Kopf zu speichern. Dann fälltmir der Stechpalmenkönig ein, der sich immer noch da draußen herumtreibt.
Geh weg , denke ich, so laut ich kann. Die hier bekommst du nicht. Die hier gehören mir. Und auch sonst bekommst du nichts, was mir gehört.
Du schuldest mir noch ein Bärenjunges
Bald ist Silvester, und Dad fährt wieder nach Hause. Letztes Jahr war es selbstverständlich, dass wir mitfuhren, aber dieses Jahr würde es mich nicht wundern, wenn er sogar vergisst, sich von uns zu verabschieden, bevor er losfährt.
Aber dann scheint es ihm doch etwas auszumachen. Am Abend vorher bringt er Hannah und mir Pokern bei und bleibt bis nach Mitternacht mit uns auf. Wir spielen um Schuldscheine, die wir auf Papierschnipsel schreiben. Im Spielen ist er besser als im Reden darüber, was wirklich da ist und was nicht. Am Ende verliert er haushoch, und wir behalten lauter Zettelchen, auf denen er mir einen jungen Bären, eine chinesische Dschunke und einen leichten Säbel verspricht und Hannah eine Villa, einen Mercedes und eine Million Pfund.
Als ich schlafen gehe, hebt er mich hoch und drückt mich ganz fest.
»Alles in Ordnung, Molly-Liebes?«, sagt er.
Ich schlinge beide Beine um seine Hüften und lege den Kopf an seine Schulter.
»Du schuldest mir noch ein Bärenjunges«, sage ich.
»Ich schulde dir noch viel mehr«, sagt er. Dann stellt er mich auf den Boden und geht die Treppe hinunter
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