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Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Frühlingstag«, sagt sie. »In den Zeiten der Römer zogen die Menschen an diesem Tag mit Kerzen und Fackeln durch die Straßen und brachten sie in den Tempel.«
    »Mit echten Fackeln?«, fragt Matthew.
    »Nein, mit elektrischen, du Dödel«, sagt Hannah.
     
    Miss Shelley teilt uns in Gruppen auf, und wir gießen den ganzen Morgen Kerzen. Normalerweise sind wir immer drei Gruppen: Jungen, Mädchen und die Kleinen, was jedes Mal heißt, dass Emily und ich uns von Hannah alles sagen lassen müssen. Aber heute steckt Miss Shelley Hannah mit Josh und Matthew in eine Gruppe und mich in eine andere mit Alexander und Emily.
    Es ist schön, zur Abwechslung mal nicht mit Hannah in einer Gruppe zu sein. Ich höre sie, wie sie sich am anderen Tisch mit den Jungen um die Schere zankt.
    »Aber du benutzt sie doch nicht mal!«
    »Es ist aber trotzdem meine!«
    Emily und Alexander und ich sehen uns schüchtern an.
    Miss Shelley teilt Karton aus für die Kerzenformen, außerdem krümeliges Wachs und Baumwollfäden für die Dochte.
    Emily macht kegelförmige Kerzen, viele kegelförmige Kerzen.
    Die von Alexander sieht nach einer Rakete aus. An das eine Ende einer leeren Klopapierrolle hat er mit Tesa einen Pappkegel geklebt. Als er die Form fertig hat, starrt er sie endlos lange an.
    Mir gefällt Alexanders Form. Und Alexander gefällt mir auch, glaube ich. Also frage ich ihn: »Stimmt was nicht?«
    Alexander kratzt sich am Hinterkopf. Dann sagt er: »Flügel. Sie braucht Flügel. Damit sie die Richtung ändern kann.«
    Wir sehen uns seine Kerze an.
    »Mach sie doch aus Karton«, sagt Emily mit ihrer leisen Stimme.
    »Nee, die müssen aus Wachs sein«, sagt Alexander. »Eine rote Wachskerze mit blauen Wachsflügeln.«
    »Und wenn du mehr Formen machst?«, schlage ich vor. Ich beuge mich vor, um ihm zu zeigen, wie ich es meine. »Aus Knete. Wenn das Wachs fest geworden ist, ziehst du die Knete einfach ab und klebst die Flügel an die Kerze. Verstehst du?«
    Alexanders Raketenflügelformen aus Knete scheinen zu funktionieren. Emily macht noch eine Fischform aus Knete und eine Hundeform. Meine sollen wie Blumen aussehen, aber sie werden nicht ganz so, wie sie sollen. Alle außer uns haben Kartonformen gemacht.
    Ich fühle mich gut. Es ist fast so, als hätte ich Freunde.
    »Guckt euch mal Alexandra an«, sagt Matthew, der gerade dicht an unserem Tischende vorbeidrängt. »Macht Blumen mit den Mädchen!«
    Alexander wird knallrot.
    »Mach ich gar nicht!«
    Den Rest der Stunde beugt er sich tief über seine Kerze, damit es bloß nicht so aussieht, als würde er mit uns reden.
     
    Wir schmelzen das Wachs, gießen es in die Formen und lassen es fest werden, und solange machen wir Mathe und nehmen Schwebefähren durch, die auch eine Art Brücke sind, und schließlich (zur Wiederholung) auch noch den Wasserkreislauf. Kurz vor Schulschluss schaltet Miss Shelley das große Licht aus, und alle zünden wir unsere Kerzen an. Raketenkerzen und Regenbogenkerzen und Kerzen, in die lauter Graffiti geritzt sind.
    Ein ganzer Tisch voller spitz zulaufender gelbroter Flammen.
    Ich schließe die Augen. Sogar mit geschlossenen Augen sehe ich ganz verschwommen die Lichter.
    Winzige Lichtpunkte in der Dunkelheit.

 
     
    Lagerfeuer und Magie
     
     
    Als ich nach Hause komme, macht Jack gerade ein Feuer im Garten.
    Ich gehe hin, um zuzusehen. Der Rauch riecht wundervoll nach Holz. Die Luft ist noch kalt und der mattblaue Himmel so groß und so leer, dass es fast wehtut, nur ein paar dünne Wölkchen schweben an den Rändern.
    »Gefällt dir das?«, fragt Jack, und ich nicke.
    Ich mag Jack. Ich mag Feuer. Und ich sehe mir gern an, wie unterschiedlich Dinge in den Flammen reagieren. Cornflakes-Packungen gehen in einer großen Flamme auf und schrumpfen dann zu nichts zusammen. Holzscheite sitzen ewig da und können sich anscheinend nicht entscheiden, aber wenn sie erst einmal brennen, dann brennen sie lange. Dicke Holzklötze knacken. Nasses Holz zischt und raucht. Und das trockene Laub von der Hecke macht freundlich pop-pop-pop .
    » Doppelt plagt euch, mengt und mischt! «, sagt Jack. »Kessel brodelt, Feuer zischt. Eine richtige kleine Hexe bist du.«
    »Stimmt«, sage ich. »Und jetzt sag ich einen Zauber: »Doppel-moppel-moppel-doppel-doppel-moppel!« Dabei gehe ich dreimal widersinns ums Feuer, das ist ein altes Wort für gegen den Uhrzeigersinn und auch Magie.
    »Nicht dass du mich verhext!«, sagt Jack.
    »Ich mache einen Frühlingszauber«, sage

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