Zeit der Gespenster
sich aus dem Leben verabschiedete. »Es ist ziemlich verblüffend«, sagte Ross. »Ein Gefühl, als würde man nach Hause kommen.«
Das hatte Ethan nicht gerade erwartet. Er fragte sich, wie es wohl bei seiner Mutter und diesem Eli in Kanada war, bei dem sie immer rot wurde, wenn er vorbeikam. Sie hatte in letzter Zeit doch nur noch diesen Detective im Kopf.
Onkel Ross schien jetzt die richtige Erklärung eingefallen zu sein. »Ich glaube, wenn man mit jemandem schläft, nimmt man einen Teil von dem anderen mit, einen Teil von dem, was den anderen ausmacht.«
Jeder hatte jemanden, dachte Ethan. Jeder außer ihm. »Vielleicht könnte ich ja bloß mal ein Mädchen küssen, damit sie ab und zu mal an mich denkt. So, ach, das war doch der Junge, den ich mal geküsst habe und der krank war und gestorben ist .«
»Ethan, du wirst nicht …«
»Onkel Ross«, sagte er müde. »Fang du nicht auch noch an, mich zu belügen.«
Ethan griff nach der Hand seines Onkels. Er schob ihm den Ärmel hoch, bis die Narbe am Gelenk zum Vorschein kam. »Warum?«, fragte er sehr leise.
»Der Unterschied zwischen dir und mir ist folgender: Du bist ein Held, Ethan, und ich bin ein Feigling.« Ross zog die Hand weg und schob den Ärmel wieder nach unten. »Ich werde persönlich dafür sorgen, dass du ein Mädchen küsst, bevor du stirbst, und wenn ich eines engagieren muss«, sagte er, und er meinte es ernst, und das brachte Ethan fast zum Weinen.
Im Film prasselten Schüsse. Ethan wühlte mit den Fingern im Popcorn, das raschelte wie Herbstlaub. »Würdest du jetzt gern sterben?«, fragte er.
Ross schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Ich auch nicht«, sagte Ethan und wandte sich wieder dem Film zu.
Eli hatte noch nie gut schlafen können, wenn ein Fall ihm zu schaffen machte. Jetzt kam noch eine kräftige Dosis sexuelle Frustration hinzu, und so war es nicht verwunderlich, dass er sich kurz nach Mitternacht auf dem Parkplatz vor dem Motel die Beine vertrat. Es hatte heftig geregnet. Watson lag auf der Erde, den Kopf auf den Pfoten, und beobachte Eli, der auf dem matschigen Boden auf und ab ging.
Shelby schlief. Zumindest glaubte er das. Sie hatte ihm einen so leidenschaftlichen Gutenachtkuss gegeben, dass er den Druck ihres Körpers noch Stunden später spüren konnte. Dann hatte sie ihm die Tür zu ihrem Zimmer vor der Nase zugemacht. Das sollte bestimmt eine Art Bestrafung sein, ein kleiner Vorgeschmack von dem, was ihm entging, weil er es ja nun mal langsam angehen lassen wollte.
Er fragte sich, was sie wohl nachts anhatte.
Wieso wollte er es überhaupt langsam angehen lassen? Sie hatte ihm doch klipp und klar gesagt, dass sie interessiert war. Vielleicht brauchte er ja nur an ihre Tür zu klopfen. Mit Shelby Wakeman zu schlafen, daran hatte Eli keinen Zweifel, war das Einzige, was ihn von dem Mordfall ablenken könnte.
Aber die letzte Frau, für die er nach so kurzer Zeit so viel empfunden hatte, war seine Frau gewesen. Er hatte sie nur wenige Monate nach ihrem ersten Rendezvous geheiratet, überzeugt, dass sie ihn genauso liebte wie er sie. Und dann hatte sie ihn wegen eines anderen verlassen. Eli wollte das nicht noch einmal erleben. Und wer sich nicht verbrennen wollte, musste in sicherer Entfernung von allem bleiben, was nach einem potenziellen Feuer aussah.
»Milch.«
Er drehte sich um und sah Shelby in einem Tanktop und einer Jogginghose vor sich stehen. Sie kam näher, barfuß auf der nassen Erde.
»Was?«
»Milch. Warm. Das wirkt.« Sie lächelte ihn an. »Du kannst nicht schlafen, stimmt’s? Ich trinke immer warme Milch, wenn mein Biorhythmus durcheinander ist – wenn ich mit Ethan die ganze Nacht wach war und dann am helllichten Tag ins Bett gehe.«
Eli hörte nur die Worte »ins Bett«. Er nickte und fragte sich, ob er mit der flachen Hand die glatte Fläche zwischen ihren Hüften bedecken könnte. Ihr Top rutschte ein Stückchen hoch und ließ einen schmalen Streifen Haut sehen. Eli stockte der Atem.
Hypoxie , dachte er.
Eli starrte zu Boden, rang um Fassung. Einer von Shelbys Fußabdrücken, zart und voll, war zufällig direkt auf seinem gelandet – größer, breiter. Es war das Erotischste, was er je gesehen hatte.
Gott, er war nicht mehr zu retten.
Egal , dachte Eli und ging auf Shelby zu. Er könnte in weniger als drei Minuten mit ihr im Bett liegen, und um die Folgen würde er sich später kümmern. Er stieg über Watson hinüber, über den doppelten Fußabdruck – und blieb abrupt
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