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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Dynamitstange landete, grinste er. Er schaute über die Schulter, sah Az noch immer nicht zurückkommen und zündete sich eine Zigarette an. Er warf sie in den Steinbruch, wo sie fünfzehn Zentimeter von einer anderen Dynamitladung entfernt landete und verglomm.
    Er war es satt, sein Leben noch einmal leben zu müssen, wo er doch schon beim ersten Mal nicht sehr begeistert davon gewesen war. Wie Lia war er in seiner eigenen Vergangenheit gefangen. Ross war im selben Augenblick gestorben wie Aimee. Und als er dann endlich jemand anderen gefunden hatte, für den es sich zu leben lohnte, stellte sich heraus, dass sie seit siebzig Jahren tot war.
    Er stellte sich vor, wie die Zigarette auf dem Dynamit landete, wie die Explosion die Erde erschütterte und ihn in den Steinbruch schleuderte. Er malte sich aus, wie sein Körper von Flammen umhüllt wurde, Flammen, die seine Kleidung fraßen und ihm den Schmerz abschälten. Warum ich? Wieso war er nicht nur mit einer, sondern gleich mit zwei toten Frauen verbunden? War er eine Art übernatürliches Bindeglied? Eine kosmische Schachfigur? Ein Blitzableiter für verlorene Seelen? Oder war das seine Strafe? Nach Aimees Tod hatte man ihn einen Helden genannt, obwohl Ross wusste, dass er genau das Gegenteil war.

    Rod van Vleet vertrank seinen letzten Gehaltsscheck in der einzigen Bar von Comtosook. Oliver Redhook höchstpersönlich hatte ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass er gefeuert war und den Firmenwagen und das Firmenhandy bis Montag in der Zentrale in Massachusetts abzugeben habe. »Ich hätte einen dressierten Affen nach Vermont schicken können«, hatte Redhook gesagt. »Aber ich habe den schweren Fehler begangen, Sie auszuwählen.«
    Es war wohl einer zynischen Laune des Schicksals zu verdanken, dass der Barkeeper ausgerechnet einer von den Indianern war, die drei Wochen lang vor seinem Baucontainer getrommelt hatten. Als fairer Gewinner hatte er Rod die ersten drei Drinks spendiert. Jetzt, beim achten, war Rods Feinmotorik so angeschlagen, dass er sein Glas kaum noch heben konnte. Es kam ihm klein und glitschig vor.
    »Noch einen«, brachte er hervor.
    Der Barkeeper schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage, Mr. van Vleet. Es sei denn, Sie bestellen sich ein Taxi.«
    »Ich bin ein Taxi«, sagte Rod.
    Der Barkeeper wechselte einen Blick mit der Frau neben Rod. Sie hatte langes schwarzes Haar und Schultern wie ein Möbelpacker, und beim genaueren Hinsehen entpuppte sie sich als Mann. Rod leerte sein Glas in einem Zug. »Auch gut«, lallte er. »Dann fahr ich jetzt eben nach Burlington rüber. Und lass es da noch richtig krachen.«
    »Viel Glück«, sagte der Barkeeper. »Hoffentlich kracht es nicht schon irgendwo unterwegs. Wär schade um Ihr Auto.«

    Das Blaulicht von den Streifenwagen huschte über die Windschutzscheibe des Pick-up und verfärbte Shelbys Haut. Sie zog sich Elis Jacke fester um die Schultern und zitterte, obwohl ihr nicht kalt war. Er hatte extra ein Stück abseits geparkt, damit sie nicht auf das Autowrack und den Körper starren musste, der auf die Straße geschleudert worden war, aber sie wandte immer wieder den Kopf und versuchte, etwas zu erkennen.
    »Tut mir leid«, hatte Eli auf halbem Weg zum Restaurant zu ihr gesagt, als das Funkgerät im Pick-up sich meldete. »Da muss ich hin.«
    Sie verstand das, und deshalb stieg sie jetzt auch aus und stöckelte in ihren hochhackigen Schuhen über den feuchten Asphalt. Außerhalb des Wagens, der die Geräusche gedämpft hatte, herrschte lärmendes Durcheinander, Sirenen heulten, Cops brüllten, Sanitäter rannten umher. Sie näherte sich dem Zentrum des Geschehens, rechnete fest damit, Ross zu sehen.
    Damals bei dem Unfall, bei dem Aimee ums Leben gekommen war, musste es ähnlich gewesen sein wie jetzt. Damals war auch ein Auto umgekippt gewesen, genau wie jetzt; die Sanitäter hatten Ross auf eine Trage geschnallt, genau wie die, die gerade über den Asphalt zu dem Verletzten gerollt wurde.
    Als der Anruf von der Polizei kam, stillte sie gerade Ethan. Fast hätte sie den Anrufbeantworter anspringen lassen, weil es so lästig war, gleichzeitig ein müdes Baby und einen Telefonhörer zu halten. Bis heute wusste sie nicht, ob die Stimme am anderen Ende männlich oder weiblich gewesen war. Nur ein paar Worte blieben haften, die ihr noch heute ab und zu durch den Kopf stolperten: Ross, Unfall, ernst, Beifahrerin tot .
    Die Zeit blieb stehen, und Ethan war von ihrem Schoß auf die Couch gerollt. Shelby

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