Zeit der Gespenster
ist, dass das Sterilisationsgesetz nichts gegen die Degenerierten ausrichten kann, die bereits geboren sind«, sagt er. »Das müsste als Nächstes in Angriff genommen werden.«
Alles Blut weicht aus meinem Kopf. Er sagt das nicht mit Boshaftigkeit. Seine Worte können gar nicht voller Hass sein, weil er ja keinen der Menschen kennt, die er eliminieren will. Er und Spencer wollen nur die Welt verändern, sie für ihre Kinder verbessern.
Indem sie die Kinder von anderen loswerden.
Ich starre sie durch die offene Tür an. Spencer grinst freundlich. »Genozid ist nicht legal.«
»Nur wenn man sich erwischen lässt«, sagt mein Vater lachend und greift wieder nach seinem Queue. »Halbe oder Volle?«
Ich trete ins Zimmer, kalkweiß; Spencers Queue fällt klappernd zu Boden, und er ist mit wenigen Schritten bei mir. »Cissy?«, sagt er außer sich. »Was ist los? Ist was mit dem Baby?«
Mein Vater blickt besorgt. »Liebes, du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
Vielleicht stimmt das, denn gerade habe ich etwas gesehen, das im Grunde schon immer da war, ich war nur zu blind, es zu bemerken. Spencer windet mir die Teelöffel aus der Hand. »Lass das doch jetzt. Komm. Du musst dich hinlegen.«
»Ich will mich nicht hinlegen«, sage ich lauter werdend. Ich stoße Spencer weg, und die Teelöffel poltern zu Boden. Ich breche in Tränen aus.
»Ruf Dr. DuBois an«, sagt Spencer leise zu meinem Vater, der nickt und nimmt den Hörer von der Gabel.
Mit Ausnahme der abwesenden Mrs. Farr aus Monkton befürwortete jede Frau im Abgeordnetenhaus von Vermont die Verabschiedung des Sterilisationsgesetzes.
Burlington Free Press , 25. März 1931
Ich liege auf dem Bett, und Dr. DuBois, das Stethoskop noch im Ohr, blickt mich an und sagt dann in munterem Tonfall: »Tja, dem Baby geht’s gut. Ich denke, du brauchst nur ein bisschen Ruhe.« Er schüttelt zwei Schlaftabletten aus einem Medizinfläschchen und beobachtet mich genau, als ich sie in den Mund stecke und einen Schluck aus der Tasse mit Wasser trinke, die er mir hinhält. »Gleich geht’s dir besser. Aber du kannst mich natürlich jederzeit rufen, Cissy, jederzeit, falls du irgendwelche … Fragen hast.«
Dann steht er auf und geht zu Spencer, der an der Tür wartet. Als sie sich leise murmelnd unterhalten, rolle ich mich auf die Seite und spucke die Tabletten aus.
Ich kann jetzt nicht schlafen, weil ich mich dann nicht wie verabredet heute Nachmittag mit Gray Wolf treffen kann. Natürlich werde ich mir jetzt nach Dr. DuBois’ Hausbesuch eine neue Entschuldigung ausdenken müssen. Vielleicht sage ich, dass ich in die Stadt fahre, um Pergamentpapier für die Einladungen zu unserer Dinnerparty zu kaufen. Sie begreifen einfach nicht, dass ich keine Pillen und keine Ruhe brauche. Ich brauche jemanden, der nicht von mir erwartet, dass ich mein Leben verschlafe.
Das Bett sinkt neben mir ein, als Spencer sich auf den Rand setzt. Ich drehe mich zu ihm, die Augenlider halb geschlossen. »Ich werde schon müde.«
»Da bist du nicht die Einzige«, entgegnet Spencer, und seine Stimme klingt gepresst.
Mir stockt der Atem.
»Wie kommt es, dass sich Dr. DuBois – der Arzt, den du in den letzten zwei Wochen wegen verschiedener Beschwerden sechsmal aufgesucht hast – gar nicht an die Besuche erinnern kann?« Sein Gesicht ist rot gefleckt. »Was um alles in der Welt könnte meine Frau gemacht haben, dass sie mich dafür anlügen muss?« Er hat die Hände um meine Schultern gelegt und schüttelt mich. »Nicht bloß einmal, sondern immer und immer wieder?«
Mein Kopf wackelt vor und zurück. »Spencer, es ist nicht so, wie du denkst.«
» Erzähl mir nicht, was ich denke! «, brüllt er. Und dann sackt er plötzlich in sich zusammen. »Cissy, Gott, was hast du mir angetan?«
Als ich sehe, dass er die Fassung verliert, setze ich mich auf und wiege seinen Kopf in meinem Schoß. »Spencer. Ich habe Spaziergänge gemacht. Allein. Ich wollte nur mal allein sein.«
»Allein? Du warst allein?«
Ich blicke ihm direkt in die Augen. »Ja«, erwidere ich, und auf meinen schwangeren Bauch deutend, sage ich gequält: »Schau mich doch an.«
»Das tu ich ja«, antwortet Spencer, »das tue ich.« Er gibt mir einen Kuss, und als er aufsteht, entschuldigt er sich. »Es tut mir leid, Cissy.« Ich drücke seine Hand, doch als er den Schlüssel zum Schlafzimmer aus der Kommode holt, wird mir klar, dass er sich nicht für das entschuldigt, was er getan hat, sondern für das,
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