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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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was er tun wird. »Dr. DuBois ist ganz meiner Ansicht – du kannst nicht allein bleiben. Vor allem jetzt nicht, wo du durch die Schwangerschaft emotional so labil bist. Er sagt, es besteht das Risiko, dass du dir … wieder etwas antust.«
    »Und der Himmel verhüte, dass ich das irgendwo tue, wo mich jemand sehen könnte. Was sollen denn die Leute sagen, wenn sie wüssten, dass Spencer Pike mit einer Frau verheiratet ist, die eigentlich nach Waterbury gehört!«
    Spencers Hand klatscht laut auf meine Wange, und ich bin stumm vor Entsetzen. Er starrt auf seine offene Hand, ebenso überrascht wie ich. Ich streiche mir mit den Fingerspitzen über die Wange und spüre den Abdruck anschwellen. »Ich tue das«, sagt Spencer steif, »weil ich dich liebe.«
    Sobald sich die Tür hinter ihm schließt und der Schlüssel sich dreht, steige ich aus dem Bett. Ich hämmere gegen die Tür. »Ruby!«, schreie ich. »Ruby, lass mich sofort raus!«
    Ich höre ein Kratzen auf der anderen Seite der Tür. »Ich darf nicht, Miz Pike. Der Professor hat es verboten.«
    Ich schlage ein letztes Mal mit der Faust gegen das Holz. Von der Anstrengung ist mir in dem überhitzten Zimmer noch heißer geworden. Eine Prinzessin in einem Elfenbeinturm, genau das bin ich. Aber wenn der Prinz wüsste, dass ich im Grunde eine Kröte bin, würde er dann so darum kämpfen, mich zu behalten?
    Ich frage mich, ob Gray Wolf sich Sorgen machen wird, wenn ich nicht komme.
    » Nia Lia«, sage ich. Ich bin Lia. » N’kadi waji nikônawakwanawak .« Ich will nach Hause.

    In Zukunft wird der Staat Vermont bemüht sein, die Fortpflanzung von Idioten, Schwachsinnigen oder Geistesgestörten zu verhindern, wenn es dem Wohl der Gesellschaft sowie dem Wohl von Idioten, Schwachsinnigen oder Geistesgestörten durch die hiermit verfügte freiwillige Sterilisation zugute kommt.
    »Erlass über die freiwillige Sterilisation«,
    Gesetze von Vermont (1931), Nr. 174, S. 194

    Am dritten Tag meiner Gefangenschaft mache ich mir schon nicht mehr die Mühe, mich anzukleiden. Ruby ist zum Metzger gegangen, Spencer ist in der Universität. Das Radio dudelt vor sich hin, und das Herz meines Babys schlägt im Rhythmus der Musik.
    Als ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht, wundere ich mich, dass Ruby schon so schnell wieder da ist. Doch selbst die Art, mit der sich Gray Wolf durch ein Zimmer bewegt, ist anders als bei jedem anderen Menschen. Ich setze mich auf, unfähig zu sprechen, und er kniet sich neben mein Bett und umarmt mich. »Du hast es ihm gesagt?«
    »Nein.« Er riecht nach seinem Leben im Freien. Ich sauge ihn in mich auf.
    »Wieso hat er dich dann eingesperrt?«, fragt Gray Wolf entsetzt. Doch ehe ich es erklären kann, redet er schon weiter. »Als du nicht gekommen bist, dachte ich, dass du am Ende vielleicht doch auf mich gehört hast und lieber wegbleiben wolltest.«
    »Ich würde nie …«
    »Aber dann habe ich mir gedacht, dass du auf jeden Fall Lebewohl gesagt hättest. Und als du auch am nächsten Tag und dem Tag danach nicht gekommen bist … da bin ich in die Stadt gegangen. Da hatte dich auch niemand mehr gesehen. Und dann die Sache mit dem Lager …«
    »Was ist damit?«
    Er sieht mich an. »Es gibt keines mehr. Ich hatte in der Stadt übernachtet, und als ich zurückkam, war keine Menschenseele mehr da. Leere Zelte, Wäsche noch auf der Leine, Spielzeug auf dem Boden verstreut – als wären alle von einer Sekunde auf die andere aufgebrochen.«
    »Wieso sollten sie wegziehen, ohne ihre Sachen mitzunehmen?«
    »Weil jemand sie gezwungen hat«, sagt Gray Wolf ausdruckslos.
    Ich denke an die alte Frau, die vor ihrem Zelt rauchte und Weidenkörbe flocht. An die Kleine, die mit einem Stock im Sand zeichnete und in Tränen ausbrach, als ein Hundewelpe ihr Kunstwerk zerstörte. Waren sie zusammengetrieben worden? In irgendwelche Anstalten gebracht und sterilisiert worden? Umgebracht?
    »Erst bist du verschwunden … dann alle anderen …« Er drückt meine Hand. »Ein Mensch muss schon sehr viel Zorn in sich haben, um so viel Schaden anzurichten.«
    Ich begreife, was er sagen will. »Du irrst dich«, sage ich zu Gray Wolf. »Das würde Spencer niemals jemandem antun.«
    »Nicht mal, wenn er die Wahrheit erfahren hat?«
    Wir starren einander an, ratlos, bis uns eine Stimme von der Tür her aufschreckt. »Und welche Wahrheit soll das sein?«, fragt Spencer leise.
    Er hat die Flinte aus der Vorratskammer in der Hand und hält sie auf Gray Wolf

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