Zeit der Gespenster
stehen kann, die ihr Leben nicht haben will, wie wird er dann erst auf eine Frau reagieren, die Halbindianerin ist?
Würde er meinen Namen an den Delacour-Stammbaum anfügen? Oder würde er den Stammbaum verbrennen? Spencer hat die Wahrheit über mich bislang vor Freunden und Kollegen überaus geschickt zu verbergen verstanden. Vielleicht würde ihm das auch weiterhin gelingen. Alle Babys, so könnte ich ihm erklären, haben als Neugeborene eine dunkle Haut und ein rundes Gesicht.
»Weißt du, Cissy«, sagt Spencer, »ich denke, wir sollten lieber nicht so viel reden. Das Reden und Denken bringt dich doch nur durcheinander.« Seine Finger kreisen sanft auf meiner Stirn. »Du brauchst mal eine Abwechslung. Eine Aufgabe, die dich beschäftigt.« Er holt einen Zettel aus der Tasche, auf dem die Namen von zehn Paaren stehen, und legt ihn neben mein französisches Teerosenparfüm. »Eine Dinnerparty. Vielleicht eine Vorgeburtstagsfeier für unser Baby. Lass dir mit Ruby das Menü einfallen, die Dekoration, ein Motto.« Er küsst mich auf die Wange. »Was denkst du?«
Ich streiche die Namensliste glatt und klemme sie in eine Ecke des Spiegels. Wir werden Rippenbraten und Süßkartoffeln und Ahornsirup und kandierte Möhren servieren. Wir werden Rotwein trinken und über Scherze lachen, die nicht witzig sind, und auf ein Baby trinken, das meine Welt zerbrechen wird. »Ich soll doch nicht denken«, entgegne ich.
Wir verwenden viel Sorgfalt auf unsere Viehzucht, doch an die sorgfältige Fortpflanzung des Menschen verschwenden wir keinen Gedanken.
Mrs. Bickford aus Bradford, zitiert in der » Burlington Free Press « vom 21. März 1931, im Zusammenhang mit der Debatte über das Sterilisationsgesetz
Ich fange an, mir Komplikationen auszudenken. Jeden Morgen stört mich angeblich irgendetwas anderes an der Schwangerschaft – ein Nerv ist eingeklemmt, das Baby bewegt sich nicht, ich habe quälendes Sodbrennen. Meine Angst vor der Geburt schürt dieses Feuer, und so wird Spencer nicht misstrauisch, wenn ich ihm jeden zweiten Tag sage, dass ich zu Dr. DuBois fahre.
Doch anstatt in die Stadt fahre ich zu dem Lager am See. Nachdem mich die Leute dort mehrere Tage zusammen mit Gray Wolf gesehen habe, hören sie auf, mich anzustarren. Manche kennen meinen Namen. »Meine Tochter«, sagt Gray Wolf, wenn er mich vorstellt.
Das Abenaki-Wort für »mein Vater« lautet n’dadan , und es klingt wie ein Herzschlag.
Heute regnet es. Wir sitzen in Gray Wolfs Zelt an einem zerkratzten Tisch. Ich krame in einem Zigarrenkistchen. Eine Brosche, ein violettes Haarband, eine Locke – das sind die Dinge, die meine Mutter ihm hinterlassen hat. Jedes Mal wenn ich hier bin, betrachte ich sie, als würden sie ein Geheimnis bergen, das ich noch nicht enträtselt habe.
Gray Wolf sagt, ich könnte die Sachen haben, wenn ich möchte. Er sagt, er brauche keine Dinge, um sich an sie zu erinnern, weil er sie im Gegensatz zu mir gekannt hat. Ich weiß nicht, wie ich ihm sagen soll, dass ich eigentlich etwas haben möchte, das ihm gehört – etwas, das mich an ihn erinnert, nur für alle Fälle. Daher stehe ich auf und mache ein paar Schritte in dem kleinen Zelt. Ich berühre seinen Rasierpinsel, das Rasiermesser, den Kamm. Hinter seinem Rücken nehme ich eine Pfeife vom Nachttisch und lasse sie in meine Tasche gleiten.
»Ich dachte, du bevorzugst Zigaretten«, sagt er, ohne sich umzudrehen.
Ich fahre herum. »Wie hast du das gemerkt?«
Er blickt über die Schulter. »Ich kann riechen, wie nervös du bist. Ich hätte dir die Pfeife geschenkt, wenn du etwas gesagt hättest.« Er schmunzelt. »Meine Tochter ist eine Diebin. Liegt bestimmt an dem vielen Zigeunerblut in ihren Adern.«
Meine Tochter . Wieder einmal gibt mir diese Bezeichnung das Gefühl, als hätte ich einen Stern verschluckt. »Du hast mich nie gefragt, ob ich es Spencer erzählen werde oder meinem … Harry Beaumont.«
»Das ist nicht meine Entscheidung. Ich hab es dir nicht erzählt, um Anspruch auf dich erheben zu können. Kein Mensch gehört einem anderen.«
Ich muss daran denken, wie er im Gefängnis die Entscheidung getroffen hat, sich sterilisieren zu lassen, damit er endlich nach mir suchen konnte. Ob er will oder nicht, Menschen gehören einander. Sobald man für einen anderen ein Opfer gebracht hat, besitzt man einen Teil seiner Seele. »Aber du willst doch, dass ich zu dir gehöre.«
Als er zu mir hochsieht, mache ich unwillkürlich einen Schritt zurück, so viel
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