Zeit der Heimkehr
Also beugte er sich vor und versuchte, einer pelzigen Wange einen schnellen Kuß aufzuhauchen.
Doch sie war viel zu schnell für ihn, drehte das Gesicht und verpaßte ihm ein volles Otterbussi auf die Lippen, der aus einer Serie schnell abgefeuerter feuchter, bärtiger Küßchen bestand, die entfernt nach Makrelen rochen. Der Kontakt mit einer kalten schwarzen Nase beendete dieses außerordentliche Erlebnis; es war ein bißchen so, als wäre sein Mund mit einem fischigen Vorschlaghammer bearbeitet worden.
Sie zog sich zurück und legte den Kopf schräg. »Der ist aber schüchtern. Du hast gar nicht erwähnt, daß er schüchtern ist.«
»Er is ver'eiratet und 'n Bannsänger und von 'ner anderen Welt. Was 'aste da erwartet, Liebchen? Durchschnittlichkeit?«
»Nicht von einem Bannsänger, nein.« So geradeheraus wie ein Pfeil, dachte Jon-Tom, der sich unter diesem kompromißlosen Blick verlegen wand. Otter waren keine sehr feinsinnige Rasse. Er sah zu, wie sie die Hand ausstreckte, um den Pelz auf Mudges Stirn zu zausen, dicht unterhalb seiner grünen Mütze. Durchsichtiger Stoff umwirbelte ihre geschmeidige Gestalt, und ihr Pelz leuchtete wie Messing in der Mittagssonne.
»Du bist also sein bester Freund?« Überrascht blickte Jon- Tom Mudge an. Der Otter zuckte die Schultern.
»Na ja, wenn nichts anderes da is. Egal, jedenfalls bist du 'ier.«
»Das klingt schon überzeugender«, sagte er. »Was soll ich von deinem Gefährten halten, Jon-Tom? Seit wir uns begegnet sind, versucht er mich ins Bett zu zerren. Meinst du, ich sollte es tun?«
»Äh... hm... ach, Freunde... ich... das heißt...« Er hörte auf zu stottern, als er sah, daß sie ihn beide angrinsten. Mudge legte einen Arm um sie, und sie leistete keinen Widerstand, wich auch nicht aus.
»Die veräppelt dich bloß, Kumpel. So gut solltest du uns Otter inzwischen eigentlich kennen. Um diese Kleinigkeit 'aben wir uns von Anfang an schon gekümmert.«
»ja, und wir haben noch sehr viel zu tun, um alles in Ordnung zu bringen«, fügte sie freundlich hinzu.
»Ach ja, nett, dich kennen zulernen, Weegee. Und wenn ihr beide mich jetzt entschuldigen würdet, ich habe nämlich noch eine andere Verabredung, wo ich mich zum Narren halten lassen soll.«
»Tu es nicht hier«, tadelte sie ihn. »Es tut mir leid, wenn ich dich in Verlegenheit gebracht habe. Mudge sagte, du wärest leicht in Verlegenheit zu bringen, und das wollte ich selbst herausfinden. Jetzt komm schon und setz dich.« Sie packte seinen Arm und riß ihn förmlich in den leeren Liegestuhl neben ihrem, setzte sich und kreuzte die kurzen Beine über ihrem unteren Rumpf, ein wirbelsäulenvernichtender Trick, den nur jemand mit dem Rückgrat eines Otters vollbringen konnte.
»Also dann: Erzähl mir alles über dich.«
Jon-Tom ließ einen Blick zur Seite huschen. »Hat Mudge das nicht schon getan?«
»Ja, aber ich kenne Schnellfinger schon lange genug, um zu wissen, daß er zusätzlich zu seinen vielen Talenten auch noch ein unverbesserlicher Lügner ist. Also erzähl mir von dir selbst und über ihn und alles andere, von dem du glaubst, es könnte mich interessieren. Ich bin ganz Ohr.« Sie zappelte mit den kurzen braunen Ohren oben am Kopf. »Mudge sagt, daß du ebenso vertrauenswürdig, ehrlich und offen bist, wie naiv und unwissend.«
»Ich verstehe.« Er blickte zu seinem Gefährten hinauf, der ganz urplötzlich etwas Hochinteressantes unten im Wasser erblickt hatte. »Gern. Als ich Mudge zum ersten Mal traf und ihn in Lynchbany aus der Gosse zerrte, wo er völlig betrunken im Koma lag...«
Das empörte Bellen des Otters hallte über den ganzen Himmel.
Als die Tage vergingen, sah Jon-Tom Mudge nur selten nicht an Weegees Seite. Je öfter sie sich unterhielten, um so mehr mochte er sie. Sie war eine jener seltenen Otterfrauen, deren Verspieltheit und Lebensfreude sie nicht daran hinderten, auch im zivilisierten städtischen Dasein zurechtzukommen. Die meisten Otter besaßen nicht genügend Geduld, um es mit dem Normalleben zu versuchen.
Sie fand die Geschichten von den Reisen und Abenteuern der Freunde faszinierend. Doch wem wäre das nicht so ergangen, wenn man bedachte, was Mudge und er im letzten Jahr alles hatten durchstehen müssen? Und wenn die Ausschmückungen des Otters allzu schlimme Ausmaße annahmen, war Jon-Tom immer dabei, den größenwahnsinnigen Phantasien seines Gefährten eine Dosis Realität einzuimpfen.
Er war entzückt festzustellen, daß Mudges Gefühle von ihr
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