Zeit der Hingabe
Wärme. Er nahm ihre Hände, schnitt die Fesseln durch. Dann zog er ihr die Kapuze vom Kopf. Die Helligkeit blendete sie, Schwindel drohte sie zu übermannen. Er nahm ihr den Knebel ab und schleuderte ihn zu Boden.
„Ich bin offenbar besitzergreifender, als ich dachte“, raunte er, nahm sie beim Arm, zog sie auf die Füße und legte ihr seinen Dominomantel um die Schultern.
Miranda schlotterte an allen Gliedern, fürchtete, die Knie würden unter ihr nachgeben, aber vor diesen Schmutzfinken wollte sie keine Schwäche zeigen. Lucien legte den Arm um ihre Taille und stützte sie auf den Stufen des Podests, so wie sie ihn vor wenigen Tagen auf dem Weg vom See zum Haus gestützt hatte. Tränen schnürten ihr die Kehle zu.
Mit versteinertem Gesicht ließ sie sich von ihm durch das Spalier der gaffenden Menge aus dem Saal führen.
Auf der breiten Freitreppe drohte sie zusammenzubrechen. Lucien schwang sie auf seine Arme, und sie barg das Gesicht an seiner Schulter. Sie spürte sein Zittern, als er sie die Stufen hinuntertrug, wusste nicht, ob er vor Zorn zitterte oder wegen ihres Gewichts. Sie wünschte sich, fünf Tonnen zu wiegen, das würde ihm recht geschehen.
Zu ihrer Verwunderung trug er sie zu einer Kutsche und ließ sie behutsam in die Polster gleiten. Erst der vertraute Duft nach Sandelholz ließ sie wissen, dass er sie in seinen Wagen gebracht hatte. Der würzige Duft, nach dem sie sich gesehnt hatte.
Aber nun war es zu spät. Sie hatte ihn geliebt, und er hatte Verrat an ihr geübt. Es zählte nicht mehr, dass er sie in letzter Sekunde doch noch gerettet hatte, dafür könnte es tausend fadenscheinige Gründe geben.
Er hatte sie den Geiern zum Fraß vorgeworfen, und damit hatte er sie verloren.
Sie hatte gehofft, er würde wenigstens so viel Taktgefühl besitzen, sie allein in der Kutsche zu lassen. Aber er setzte sich neben sie und wollte sie in seine Arme schließen.
Blind vor Zorn schlug sie mit Fäusten auf ihn ein, flüchtete auf die andere Bank und drückte sich in die entfernte Ecke; seine Berührung war ihr unerträglich.
Er ließ sie stumm gewähren. Die Pferde zogen an, und das Wageninnere wurde in Dunkelheit getaucht. Eine Pelzdecke wurde über sie gebreitet, die sie am liebsten von sich geworfen hätte, um darauf herumzutrampeln. Aber die Nacht war zu kalt. Miranda fror erbärmlich in dem durchsichtigen Fetzen, den er sie gezwungen hatte zu tragen. Der Not gehorchend, wickelte sie sich in die Decke, zog sie bis zu den Ohren hoch und schloss die Augen, um sich völlig abzuschotten.
Seltsam, fragte sie sich verstört, wieso hatte er den Wagen vor dem Portal warten lassen?
Wie interessant, dachte Christopher St. John, während er sich durch das Gedränge der Gäste schob. Die künftige Countess of Rochdale hatte dem Satanischen Bund klar zu verstehen gegeben, was sie von diesen Exzessen hielt. Und Rochdale, kaltblütig wie eh und je, hatte seine Braut den Gästen serviert wie eine gute Flasche Portwein.
Weit interessanter war allerdings die Tatsache, dass er den Lüstlingen in letzter Sekunde Einhalt geboten und seine Dame auf den Armen aus dem Haus getragen hatte wie ein edler Ritter.
St. John hatte sich absichtlich so postiert, dass Rochdale ihn nicht übersehen konnte, und war höchst zufrieden mit der Reaktion des Skorpions, der ihn noch auf dem Kontinent vermutete, wohin er sich nach dem Debakel mit Lady Rohan geflüchtet hatte. Aber er war zurückgekehrt. Und der Miene des Earls war deutlich zu entnehmen gewesen, dass seine Mätresse keine Ahnung davon hatte, dass er St. John beauftragt hatte, für ihren gesellschaftlichen Niedergang zu sorgen.
Rochdale war gewiss bestrebt, den Vorfall weiterhin geheim zu halten, würde sein Ziel bis zum bitteren Ende verfolgen und wäre bereit, eine hübsche Summe lockerzumachen, um sich sein Schweigen zu erkaufen, dachte St. John bei sich.
Das Leben schlug manchmal seltsame Kapriolen.
Er wollte Rochdale einen Besuch abstatten, ohne das Wissen seiner Dame. Erpressung war ihm lieber als Vergeltung. Falls Rochdale sich weigerte zu zahlen, würde er allerdings auch zu diesem Mittel greifen. Rochdale hatte ihm lange genug Angst eingejagt. Diesmal hielt er die Trümpfe in der Hand.
In dieser Nacht wollte er allerdings seinem Vergnügen nachgehen und mischte sich froh gelaunt wieder unter die Gäste.
Jacob hätte die schlafende Miss Jane Pagett gerne länger in den Armen gehalten. Als der Wagen jedoch zu einem unerwartet jähen Halt kam, löste er
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