Zeit der Hingabe
könnte immer noch einen Rückzieher machen, könnte sich wehren, zurück in ihr Zimmer fliehen.
Und würde dennoch verlieren. Sie hasste es zu verlieren, am meisten aber hasste sie es, gegen ihn zu verlieren. Sie setzte ihre Hoffnung immer noch darauf, dass er ihr diese Schmach nicht zumuten würde. Hoffte, dass er Erbarmen mit ihr hatte, weil sie ihm nicht gleichgültig war. Irgendetwas in ihr vertraute darauf, dass er nicht der eiskalte Rächer war, der er vorgab zu sein. Er würde zur Besinnung kommen und sie von diesem grauenhaften Ort wegbringen.
Aber Lucien setzte seinen Weg unbeirrt fort, und sie ging mit ihm. Er trug keinen Stock bei sich, schien es eilig zu haben, sein Ziel zu erreichen, die Stätte ihrer Hinrichtung.
Aus der Ferne war gedämpftes Stimmengewirr zu hören, das anschwoll, bis sie hohe schwarze Flügeltüren erreichten, flankiert von zwei stummen Lakaien, die auf ein Nicken ihres grausamen Begleiters warteten. Und als die Türflügel sich öffneten, wurde das Paar mit ohrenbetäubendem Jubel empfangen.
26. Kapitel
E r hielt ihre Hand, registrierte Miranda beklommen, und würde ihr Zittern und ihren Angstschweiß spüren. Sie entzog sich ihm und ließ den Blick schweifen.
An der Stirnseite des riesigen Saals befand sich ein Podium mit einem langen verhüllten Tisch, den sie im ersten Moment für einen Altar oder Opferstein hielt, dann aber zu ihrer Erleichterung als Liege erkannte. Sie hatte nie an die Gerüchte von Menschenopfern geglaubt. Ihr Vater und Großvater waren in ihren Jugendjahren zwar beileibe keine Heiligen gewesen, aber vor Blutopfern und Mord hätten sie zurückgeschreckt.
Miranda ließ den Blick weiter wandern. Die versammelten Gäste trugen seltsame Verkleidungen, Nonnengewänder und Mönchskutten, manche waren in Dominokostüme gehüllt und verbargen das Gesicht hinter Halbmasken. Kein Wunder, wenn die Mitglieder des Satanischen Bundes von erlauchter Herkunft waren, wie sie gehört hatte.
Ein kurzbeiniger beleibter Mann näherte sich, von dem sie vermutete, es sei der Gastgeber Lord Bromley. Er war in eine römische Toga gewandet und trug einen Lorbeerkranz im schütteren Haar. Sein Gesicht war hinter einer Ziegenmaske verborgen.
„Wir haben uns hier versammelt“, begann er mit feierlich erhobener Stimme, „um dieser in der Hölle geschlossenen Vermählung unseres geliebten Bruders Lucien, dem Skorpion, und seiner Auserwählten beizuwohnen, und werden gemeinsam aus dem Abendmahlbecher trinken, um dieses unheilige Bündnis zu besiegeln …“
Er hielt ein seltsam geformtes Glasgefäß in Händen, das sie erst auf den zweiten Blick als Phallussymbol erkannte, dessen Größe eher Luciens stattlichen Ausmaßen glich als St. Johns winzigem Stummelschwänzchen. In einem Anflug von Galgenhumor schoss ihr der Gedanke durch den Sinn, dass sie im Verlauf dieser Nacht eine Reihe männlicher Geschlechtsorgane zu sehen bekäme und danach beurteilen könnte, was normal war und was nicht. Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken.
Es war kalt in diesem Saal, obwohl einigen der umstehenden Gäste der Schweiß auf der Stirn stand. Vielleicht aber war sie nur nervös. Lucien stand stumm neben ihr. Wie versteinert.
Sie hob die Hände, löste die Schleifen des Dominokostüms und ließ den Umhang von den Schultern gleiten. Sie spürte, wie Lucien zusammenzuckte, während die Menge johlend Beifall klatschte.
Lord Bromley hielt ihr das obszöne Gefäß hin. „Nehmt an unserer Kommunion teil, schöne schwarze Lady, und wir werden …“
„Nein, danke“, lehnte sie mit fester Stimme ab. „Das ist mir zu unappetitlich, und das Getränk scheint mir zweifelhafter Herkunft zu sein.“
Alle Gespräche verstummten. Es wurde sehr still im Saal, als wäre der Teufel persönlich erschienen. Der Ziegenlord wirkte verdutzt. „Ähm … nun gut.“ Er reichte den Kelch einem wartenden Lakaien und versuchte, seine Fassung wiederzuerlangen. „Wir rufen die Mächte der Finsternis an, Luzifer und seine höllischen Heerscharen, um diese Vermählung zu verfluchen …“
Miranda verdrehte die Augen zum Himmel. „Aber ich bitte Sie, wollen Sie damit tatsächlich den Teufel beschwören? Vermutlich glauben Sie nicht einmal an die Existenz des Bösen. Ich finde dieses Brimborium extrem ermüdend. Können wir die Sache nicht hinter uns bringen?“ Sie sah sich nicht mehr in der Lage, heiteren Frohsinn zur Schau zu stellen, aber gelangweilter Überdruss gelang ihr einigermaßen überzeugend. Sie
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