Zeit der Hingabe
glaubte sogar, ein unterdrücktes Lachen des Mannes an ihrer Seite zu hören, der sie dieser grässlichen Folter aussetzte.
Der Gastgeber wirkte gekränkt, ließ sich jedoch nicht von seinem feierlichen Geschwafel abbringen. „Zunächst müsst Ihr Euch der Ehre, die Euch zuteilwird, würdig erweisen. Führt Eure erwählte Braut zum Hochzeitslager.“
Wenigstens nannte der Fettwanst ihn nicht mehr Skorpion, sonst hätte sie zu kichern begonnen.
Lucien bewegte sich nicht. Doch dann legte er seine Hand an ihren Ellbogen und führte sie zum Altar. Seine Hand fühlte sich eiskalt auf ihrer Haut an. Aber vielleicht ging die Kälte auch von ihr aus. Sie wagte einen flüchtigen Seitenblick auf ihn. Er sah aus wie eine Gestalt aus einem Wachsfigurenkabinett, ausdruckslos, ohne Regung.
Vor der weiß verhüllten Liege blieb er stehen. Der Fettwanst war ihnen gefolgt, und Lucien drehte Miranda zur gaffenden Menge um. „Schließt Ihr Euch aus freiem Willen unserem Bund an, Mylady?“, fragte Lord Bromley in seiner ölig feierlichen Tonlage. „Ist es Euer Wunsch, eine von uns zu sein?“
Es war so still im Saal, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Miranda wandte den Blick Lucien zu, in sein kaltes bleiches Antlitz. „Nicht unbedingt“, erklärte sie mit tragender Stimme. „Es ist der Wunsch meines Gemahls, und mein Wunsch ist es, ihn glücklich zu sehen.“ Miranda nahm all ihre innere Kraft zusammen, schenkte Lucien ihr liebenswürdiges Lächeln und hoffte nur, er lese ihre Trauer nicht in ihren Augen.
Ein Raunen ging durch die Versammlung, offenbar aber genügten ihre Worte als Zustimmung. „My Lord Skorpion, Ihr könnt Euch zurückziehen“, ergriff der Ziegenbock erneut das Wort, nahm Mirandas eiskalte Hand und führte sie weg von dem Mann, den sie in ihrer Torheit und Verblendung zu lieben geglaubt hatte.
Die gierige Meute drängte näher, und Lucien tauchte in der Menge unter. Miranda war völlig verstört; bis zur letzten Sekunde hatte sie gehofft, Lucien würde diesem schändlichen Treiben Einhalt gebieten und sich schützend vor sie stellen. Aber er hatte nichts dergleichen getan. Er wollte ihren Untergang.
Fassungslos starrte sie auf das weiße Laken. Erwarteten diese Wüstlinge tatsächlich, dass sie sich in aller Öffentlichkeit mit ihnen vergnügte? Eindeutig ja. Würde Lucien dem Treiben ungerührt zusehen? Ja.
Und was geschah, wenn sie plötzlich die Nerven verlor und dem fetten Ziegenbock in einem hysterischen Anfall das Gesicht zerkratzte? Was hinderte sie daran, es zu tun?
Hoffnung? Die hatte sie längst verloren. Stolz? Was könnte ihr Stolz noch gegen die Schmach ausrichten, vor all diesen geifernden Lüstlingen entblößt zu sein? Was in aller Welt hatte sie bewogen, ihren schwarzen Umhang abzulegen? Was war sie für eine Närrin, sich auf das abscheuliche Treiben einzulassen? Es war höchste Zeit, diese böse Farce zu beenden.
Der Ziegenbock salbaderte wieder etwas von ewigen Banden und Unterwerfung, doch sie hörte nicht mehr zu. Sie machte den Mund auf, um die widerliche Bande anzuschreien, sie gefälligst in Frieden zu lassen. Im selben Moment wurde ihr der Mund mit einem Tuch verschlossen, während ihr die Hände auf den Rücken gefesselt wurden.
Sie geriet in Panik. Sie hatte zu lange gewartet. Eine Kapuze wurde ihr über den Kopf gestülpt. Dunkelheit hüllte sie ein. Sie wurde auf die Liege geworfen, und so sehr sie sich wehrte, sich aufbäumte und mit den Füßen strampelte, überall griffen gierige Hände nach ihr, widerliches Gewürm begrapschte sie. Sie schrie aus Leibeskräften gegen den Knebel in ihrem Mund an und warf sich in wahnsinnigem Zorn auf dem Lager herum, ohne die ekelhaften Finger loszuwerden.
„Achtet nicht auf ihr Gezappel“, hörte sie die ölige zufriedene Stimme des Ziegenbocks. „Das gehört zum Zeremoniell. Sie hat uns ihr Wort gegeben, aus freiem Willen an unserem Ritual teilzunehmen, und wir werden …“
„Nehmt die Hände von ihr!“
Sie hörte seine Stimme laut und deutlich, und ihr Kampf erlahmte. Ermattet sank sie auf das Laken zurück. Hände hielten sie immer noch an Schultern und Beinen fest. „Habt Ihr verstanden? Nehmt die Hände von ihr!“ Luciens Befehl dröhnte durch den Saal. „Wer sie noch einmal anfasst, ist des Todes.“
Augenblicklich ließen die Hände von ihr ab, und sie versuchte, sich aufzurichten. Sie war benommen, glaubte unter der Kapuze mit dem Knebel im Mund zu ersticken. Dann spürte sie Luciens Nähe, seine
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