Zeit der Hingabe
ihm ohnehin nicht der Sinn. Im Gegenteil: Er wollte sie in seinem Bett haben und die Sache hinter sich bringen, um sie anschließend in dem alten Gemäuer verrotten zu lassen, während ihre Familie vor Zorn schäumte.
Das reichte, um sein eiskaltes Herz zu erwärmen. Weit nach Mitternacht kehrte er zurück in den letzten Wohnsitz seiner Vorfahren, der den verarmten de Malheurs geblieben war. Selbst Mrs Humber war schon zu Bett gegangen. Er war froh, keinem Dienstboten begegnen zu müssen, und begab sich nach oben, um nach seiner neuen Gespielin zu sehen.
Sie war nicht in ihrem Zimmer. Er schaute sogar unter dem Bett und im Schrank nach, falls sie sich versteckt hatte, und kam sich dabei denkbar kindisch vor. Er könnte die Dienstboten wecken und sie suchen lassen, aber damit würde er sich komplett zum Narren machen. Wenn sie in die kalte Regennacht hinaus gelaufen war, käme sie nicht weit, und er würde morgen nach ihr suchen lassen. Wenn sie sich irgendwo im Haus versteckte, würde sie bald wieder auftauchen.
Zorn brodelte in seiner Magengegend. Er brachte ihr gemischte Gefühle entgegen, wusste nicht recht, was schlimmer für sie wäre, mit oder ohne Trauschein an ihn gebunden zu sein. Er wünschte sich ein behagliches Haus, ein warmes Bett und eine willige Frau. Aber nichts von alldem würde er in Pawlfrey House finden.
Missmutig begab er sich in sein Arbeitszimmer auf ein letztes Glas Brandy, setzte sich an den Schreibtisch und redete sich ein, verärgert zu sein, keineswegs beunruhigt. Dann bemerkte er die halb geöffnete Flügeltür zur Bibliothek. Er wollte sie schließen, als er einen schwachen Lichtschein aus einer Ecke wahrnahm.
Aha, dachte er, durchquerte den großen Raum lautlos und stand vor Lady Miranda Rohan.
Sie schlief tief und fest. Ihr langes, zu einem lockeren Zopf geflochtenes Haar reichte ihr bis zur Hüfte, stellte er verwundert fest. Ein unerwartet erotischer Anblick. Auf ihrem Schoß lag ein frivoler französischer Roman. Offenbar hatten die pikanten Liebesabenteuer der Protagonistin Madame Lapin nicht vermocht, sie wach zu halten. Sie hatte sich in seine Kaschmirdecke gehüllt und schlief so friedlich, dass er es nicht übers Herz brachte, sie zu wecken.
Im Übrigen bereitete ihm sein Bein höllische Schmerzen, und er fror. Wenn er sie weckte, müsste er sie nach oben bringen, entweder in sein oder ihr Schlafzimmer.
Sie sah so unschuldig aus im Schlaf – was sie dank seiner ausgeklügelten Machenschaften längst nicht mehr war. Allerdings hatte sein Stellvertreter sich beim ersten Mal tölpelhaft und ungeschickt angestellt und ihr den Spaß an der Sache gründlich verdorben. Ihm blieb noch genügend Zeit.
Unwillkürlich strich er ihr eine Haarsträhne von der glatten Wange. Sie bewegte sich nicht, schlief selig wie ein Kind. Er lächelte. Morgen war auch noch ein Tag. Sollte sie getrost schlafen und denken, sie habe ihn überlistet.
Er beugte sich über sie, blies die Kerzen aus und streifte dabei ihre Haut. Sie gab einen winzigen Laut von sich, ein leises Stöhnen, was ihn augenblicklich erregte. Und ärgerte. Verflucht! Er wollte warten, bis sie wirklich Angst vor ihm hatte, aber sein Körper schien anderer Meinung zu sein.
Er zog den schweren Vorhang leise zu, hüllte sie in ihr kleines Nest ein. Die Morgensonne würde sie wärmen und wecken.
Und dann würde der Kampf von Neuem beginnen.
14. Kapitel
D er erste Sonnenstrahl weckte Miranda auf der gepolsterten Fensterbank. Erschrocken setzte sie sich auf, zunächst orientierungslos, und schälte sich aus der warmen Decke. Sie war in der Bibliothek über der Lektüre eingeschlafen, ohne die Kerzen zu löschen. Ein Glück, dass das Haus nicht abgebrannt ist, dachte sie. Wobei es um den alten Kasten nicht schade gewesen wäre, allerdings zog sie es vor, nicht selbst in den Flammen umzukommen.
Als sie nach dem Leuchter griff, stellte sie fest, dass die Kerzen nur halb heruntergebrannt waren. Entweder hatte ein Luftzug sie ausgeblasen, oder jemand hatte sie gelöscht.
Der Gedanke beunruhigte sie. Lucien konnte es nicht gewesen sein. Er hätte sie geweckt und mit sarkastischen Bemerkungen oder Schlimmerem belästigt. Der Gedanke, Mrs Humber habe sich über sie gebeugt, war ihr noch unangenehmer. Aber vielleicht hatte sie selbst die Kerzen im Halbschlaf gelöscht und konnte sich nur nicht mehr daran erinnern.
Sie zog die Vorhänge mit angehaltenem Atem auf, um nicht vom aufgewirbelten Staub husten zu müssen. Sie entsann
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