Zeit der Idioten
ist meine Deutschprofessorin Johanna Fasching.« Fehlt nur noch, dass sie ein Fotoalbum aus dem Ärmel zieht.
Wieder läutet es an der Tür. Oma und Opa mit dem Mittagessen. Mein Vater hat sich ihnen auf der Straße angehängt und schlurft zur Tür herein wie ein herrenloser Hund.
»Hast du eine anständige Arbeit?«, fragt er in meine Richtung.
»Ich habe ihm schon zigmal den Job in der Bäckerei angeboten«, sagt Opa.
Danke. Ich verziehe mich jetzt.
»Ich will, dass du diesen Bäckerjob annimmst!«, ruft mein Alter mir hinterher, während er ein paar Dosen Bier in den Kühlschrank stellt.
»Was?«
»Du hast mich gehört.«
»Ich bin Musiker, Vater. Und fünfunddreißig.«
»Ein fünfunddreißigjähriger Musiker, der nie was gelernt hat und nichts verdient?«
»Lass mich in Ruhe, ja?«
»Nein. Du hast jetzt Verantwortung. Du musst endlich erwachsen werden. Du hast ein Kind, Jessasmarandjosef. Du brauchst einen Job und hier ist einer. Am Silbertablett präsentiert. Wie immer musst du nicht einmal darum kämpfen – er liegt vor dir, also greif zu!«
»Was willst du mir bitte von Verantwortung und Pflichtbewusstsein erzählen?«
»Du hast keine Ahnung. Von nichts. Du bist ein Versager!«
»Die Stelle ist immer noch frei und sie ist nicht so schlimm, wie du denkst, Cornelius«, meint Opa beschwichtigend, »die suchen einen Mischer, du müsstest einfach um zwei Uhr Früh aufstehen und den Teig anrühren oder so. Das ist so was wie ein Hilfsarbeiterjob, verstehst du?«
»Soll ich das jetzt toll finden, Opa?«
»Warum sagt der ›Opa‹ zu dir?«, äfft mein Vater mich nach.
»Halt den Mund!«, fahre ich ihn an.
»Ich frage dich jetzt zum letzten Mal: Wirst du diesen Job annehmen?«
»Nein, verdammt.«
»Dann werde ich nie wieder auch nur ein einziges Wort mit dir sprechen, die Muttergottes ist mein Zeuge!«
»Oh, hast du gehört, Muttergottes? Du bist sein Zeuge! Ist das ein Versprechen oder was? Soll ich dir was sagen? Das wird genau überhaupt nichts in meinem Leben verändern. Du hast nämlich nie mit mir gesprochen und wenn du doch was gesagt hast, habe ich gewünscht, du würdest deinen versoffenen Mund halten! Von wegen Versager, wer ist hier der Versager, hä?«
Und in diesem Moment geht mein Vater auf mich zu, schaut mir in die Augen und schlägt mir, seinem fünfunddreißigjährigen Sohn, mitten ins Gesicht. Es fühlt sich an, als ob man in eiskaltes Wasser eintaucht oder sich die Finger am Herd verbrennt. Diese Momente, wo einem bewusst wird, dass man einen Körper hat und was er bedeutet. Dass man zerbrechlich und vergänglich ist. Nicht, dass ich das unbedingt bräuchte. Meine Wenigkeit hat mich das ausgiebig spüren und wahrnehmen lassen. Er hat mir dieses Wissen in einen Logenplatz meines Bewusstseins gesetzt, aber mein Vater meint ja, ich hätte keine Ahnung. Ich sehe meine Mutter, Oma und Sarah. Alle Münder im Raum scheinen von Händen gestützt zu werden. Nur meiner nicht. Meiner blutet. Sarah weint.
»Cornelius, hör bitte auf«, schluchzt sie.
Als ob ich irgendwas angefangen hätte! Was für ein Tag! Ich bin anscheinend verlobt, mein Vater gibt mir eine Ohrfeige, Sarah hat einen Freund, und ich habe immer noch keine Idee, wie ich diesen scheiß Song anlegen könnte.
Da läutet mein Handy.
»Ja?«
»Cornelius, bist du das?«
»Ja.«
»Hier ist Johanna.«
Meine Verlobte. Ach, Johanna, kannst du nicht mein Kreis sein, um den ich mich kümmern muss? Ich glaube, ich würde das sogar gerne tun – mich kümmern. Aber da man sich um diesen Kreis ja kümmern
muss
, ist er einem höchstwahrscheinlich vorbestimmt und man hat keine Wahl. Was soll’s, ich gehe die Stiege hoch in mein Zimmer. Ich freue mich, ihre Stimme zu hören, das tut echt gut. Vielleicht hat Sarah ja Recht und ich bin wirklich verliebt. Jedenfalls ist Johanna der einzige Mensch, den ich jetzt sehen möchte. Oder spüren und riechen – anfassen, wenn ich ehrlich bin. Ich mag es, wie sie mich anschaut, wie sie mit den Händen über die Tischplatte streicht, wenn sie mit mir redet, wie sie lacht und wie der Wein sie redselig macht. Ich mag, dass sie kein intensives Parfum verwendet, das macht sie so wirklich und gegenwärtig und gibt mir ein Gefühl von … Geborgenheit? Düfte lügen einem ja meistens etwas vor. Sie bringen dich um den Verstand, lassen dich nicht mehr klar denken – oder nur noch an Sex.
Frauen verunsichern einen immer mit ihren Gerüchen und Blicken, mit ihrer ganzen Körpersprache. Man sagt
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