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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Moshammer
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deswegen zu Saufen begonnen, ich weiß es nicht. Ist mir auch egal. Ich weiß nicht viel über ihn. Ich weiß nur, dass er von einem bestimmten Moment an alles gehasst hat. Einfach alles. Seine Arbeit, seine Frau, mich, Bölling – sein ganzes Leben wahrscheinlich. Aber er hat nicht diese liebenswürdige Schrulligkeit, mit der der alte Hermann sein Leid erträgt. Ich weiß auch nicht, manchmal denke ich, mein Vater ist ein schlechter Mensch. Er hat auch bei diesem Hit von Hansi Orsolic, dem krächzenden Ex-Boxer aus Wien – ein deprimierender, sympathischer Jammerlappen, wie nur Österreich einen hervorbringen kann –, immer lauthals mitgesungen:
Mei potschates Lebn
… Jessasmarandjosef, Land der Opfer!
    Ich glaube, es ist tatsächlich immer dasselbe, in jeder Familie, in jeder Stadt, in jedem Land der Welt. Ihr wisst, was ich meine – und die Mütter ertragen immer alles. Sie sind die herzensguten Wesen, die tun, was getan werden muss.
    Meine Mutter ist besessen davon. Sie hat nicht unbedingt eine Meinung, aber in ihrer Wahrnehmung scheint alles seine Ordnung zu haben. Sie putzt und kocht und wäscht, und das immer termingerecht und professionell. Sie ist pünktlich, gastfreundlich und geht am Sonntag zur Messe. Ich weiß nicht, wie diese Frauengeneration das hinkriegt – noch dazu mit einem Arschloch als Mann. Und ich habe sie nie jammern gehört. Sie hat sich immer mit allem zufrieden gegeben. Ich verstehe das nicht. Aber ich liebe sie. Ja, das kann ich sagen. Vielleicht ist es auch Mitleid, keine Ahnung. Ihr kennt das ja. Die beiden müssen vor Angst umkommen in Wien. Ich schätze, sie verfluchen mich jeden Tag aufs Neue.
    »Cornelius, schnell, sie sind da!«
    »Scheiße.«
    »Cornelius!«
    Ich sage euch, Mädchen sind Mütter, lange bevor sie gebären. Was sage ich da? Jessasmarandjosef,
gebären
!
    »Cornelius, interessant, wie du die Veranda gestaltet hast!«, sagt sie wie ein Roboter und stellt eine Vase, die ich aufs Fensterbrett gestellt habe, wieder zurück auf den kleinen Holztisch, auf dem sie immer schon gestanden ist. Ladies and Gentlemen, meine Mutter! Mein Vater geht sofort zum Kühlschrank, und weil kein Bier da ist, verlässt er das Haus gleich wieder, um welches zu kaufen. Ladies and Gentlemen, mein Vater! Meine Zunge soll ich verschlucken, sollte es mir in den Sinn kommen, ihnen ein heiles Familienleben in Bölling anzubieten.
    »Na, Mutter, wie geht’s?«
    »Gut.«
    Seht ihr, das sagt sie immer.
    »Aber alle sind verrückt geworden. Die Wiener sind verrückt. Es ist ja sowieso verrückt, in Wien zu wohnen, wenn du mich fragst, aber in Zeiten wie diesen … ach, reden wir von was anderem, es ist sinnlos. Die Wohnung solltest du sehen, Cornelius. Ich habe sie total verändert. Es ist sehr nett jetzt. In das Eck, wo deine Gitarren gestanden sind, habe ich das alte Holztischchen von der Oma gestellt und lauter Kakteen draufgegeben. Und die lieben den Platz, sag ich dir, zwei von ihnen blühen schon. Das ist wirklich sehr schön.«
    Wahrscheinlich ist das der Schlüssel zum Durchhaltevermögen von Müttern. Sie schaffen sich ihr eigenes, kleines Universum, das sie hegen und pflegen und schützen, und da drinnen kann ihnen nichts passieren. Nicht einmal ihre Männer dürfen hinein, oder nur, wenn sie es erlauben.
    Kennt ihr Nikos Kazantzakis? Der hat gemeint, dass jeder Mensch seinen eigenen, kleinen Kreis hat, der Menschen, Tiere, Pflanzen, Ideen, einfach alles inkludiert, und um den er sich kümmern muss. Das ist eine sehr schöne und simple Reduzierung auf den Sinn des Lebens, und Mütter tun das anscheinend instinktiv. Aber wenn ihr mich fragt, in Büchern findet sich der Sinn des Lebens leicht, oder? In Wahrheit habe ich nämlich keine Ahnung, wo oder wer oder was mein Kreis sein soll. Ich meine, so was kann nur für Menschen gedacht sein, die sich nicht permanent ums scheiß Überleben kümmern müssen oder eben mit der
Suche
nach diesem Kreis beschäftigt sind. Und noch was: Bevor ich mich um meinen Kreis kümmern kann, will ich endlich meinen SONG schreiben!
    »Die Oma und der Opa kommen dann gleich mit dem Essen«, sagt Sarah. Meine Mutter verdreht die Augen. Sarah lacht. »Und Cornelius ist verliebt!«
    »Cornelius! Du hast ja gar nichts gesagt!«
    »Aber nein, das ist …«
    »Wie heißt sie? Sag bloß, es ist eine aus Bölling, dann kenn ich sie sicher. Sag schon, das ist ja eine schöne Nachricht.«
    »Nein, sie ist nicht von hier«, erklärt Sarah. »Sie ist aus St. Pölten. Es

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