Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Moshammer

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die an meiner Misere mit schuld sind, haben es auch nicht besser verdient. Irgendsowas denkt sich so ein Idiot vielleicht. Ich weiß nicht, aber ich kann mich ganz gut in ein Idiotenhirn hineindenken, wenn ihr versteht, was ich meine. Und diesem fühle ich mich am nächsten. Passt auf:
    Rucksackbomber Nr. 7, ein sechzehnjähriger Jüngling namens Alexander Panstingl-Panstingl, hat eines Morgens vor seiner Schule, dem Gymnasium Hegelgasse im ersten Bezirk, den magischen Auslöser betätigt. Und zwar, als er im Auto seines Nachbarn saß, Dr. Ewald Stauder, ein angesehener Gynäkologe, der seine Tochter Angelika, ihre Schwestern Isabella und Christine, und unseren Helden jeden Morgen, und das seit Jahren, zur Schule gebracht hat.
    Jetzt wollte es des Helden Schicksal, dass seine Angebetete, eben jene Angelika, sich ein kleines Spiel mit ihm erlaubte. Sie fand es lustig, ihn, den sie ihr ganzes, kurzes Leben lang gekannt, mit ihm gespielt und gelernt, gelacht und geweint hatte, vor der versammelten Klasse zu demütigen. Ein paar Tage zuvor gingen sie zusammen von der Schule heim, es war am frühen Abend, und Alexander wollte ihr seine Liebe gestehen. Er war von romantischem Gemüt und gut vorbereitet, hatte er ihr doch ein kleines Gedicht geschrieben. Unsere Freunde von der Presse haben es später sogar abgedruckt und die posthume Scham des Helden ins nationale Bewusstsein erhoben. Gratuliere.
    Ich schreibe es hierher, weil ich meinen Hut ziehe vor diesem mutigen Ritter, der sich der Peinlichkeit gestellt hat, jenem bösesten Drachen der Gesellschaft, dessen Nähe allein den sozialen Tod bedeuten kann. Alexander Panstingl-Panstingl hat sich nicht nur in seine Nähe gewagt, er war von der guten, alten Neugier infiziert. Er wusste, dass er sich über die Grenze des gesellschaftlichen Geschmacks hinauswagen musste, er musste dieses Alibi-Wertesystem ignorieren und seinem Instinkt, seinem Traum folgen. Er hat den Drachen herausgefordert und bezwungen, und ein paar Tage später sollte er auf seinem Rücken Feuer speien.
    Weiter weg als Pluto von der Sonne,
    weiter weg als die Wirklichkeit von meinem Fernseher,
    weiter weg als deine Lippen von meinen.
    Viel weiter weg werde ich sein,
    entfernt vom Sinn meines Lebens,
    wenn du mich zurückweist.
    Jessasmarandjosef, er war sechzehn! Die Angst, die zwischen diesen Worten klebt, ist kaum auszuhalten, oder? Das ist schon eher eine dunkle Ahnung, eine traurige Gewissheit. Wer weiß, vielleicht war er mir sehr ähnlich, nur eben tausendmal talentierter. Jedenfalls hat diese Angelika auf Prinzessin gemacht und von ihm verlangt, sich vor ihr hinzuknien, während er ihr das Gedicht aufsagt, damit sie es festhalten und sich ihr Leben lang an diesen wunderschönen Moment erinnern könne. Im Glauben, es hiermit geschafft zu haben, tat unser Held, wie ihm geheißen. Die Prinzessin nahm die ganze Szene mit der Digitalkamera ihres Handys auf.
    Am nächsten Tag spielte sie sie ihrer Klasse vor. Sie hat nicht einmal gewartet, bis er den Raum verlassen hatte. Den Rest könnt ihr euch ausmalen. Siebzehn Schüler und ein paar Erwachsene starben drei Tage später bei der Explosion. Was für ein Märchen!
    Schlimmer noch als die Zeitungen waren aber die Idioten vom Fernsehen. Da das Mädchen am Tag ihres Todes ihr Handy zu Hause vergessen hatte, gelangte dieses Video in die Hände der Medien. Was soll ich sagen.
    Viele Eltern lassen ihre Kinder jetzt nicht mehr zur Schule gehen. An den Wiener Schulen herrschen Sicherheitsvorkehrungen wie am JFK nach dem elften September. Immerhin lernen die Kinder jetzt nicht für die Schule, sondern für das Leben. Ich weiß, ihr findet mich zynisch. Aber wenn ich hier der Zynische bin, was war dann diese blöde Angelika?
    Ich gehe hinunter, weil meine Mutter schon das hundertste Mal nach mir ruft. Essen ist fertig. Beim Runtergehen schmecke ich immer noch Blut. Und mitten auf der Stiege trete ich mir irgendetwas Spitzes, Weißes ein. Na toll, mein Vater hat mir tatsächlich einen Zahn ausgeschlagen. Ich gehe zum Spiegel. Ich sehe aus wie Shane MacGowan von den Pogues.

8. ERNIEDRIGUNG
    Kannst du nicht einfach normal sein?
    Sarah hält mein Notizbuch in der Hand und setzt sich an den Tisch. Ich mache ihr einen Kakao, sie beginnt langsam und konzentriert zu lesen.
    »Ich denke, es funktioniert so: Das große Wort, um das sich alles dreht, um das die kosmische Fliege kreist wie ihre irdische Schwester um den Anus einer nicht unbedingt heiligen Kuh, heißt