Zeit der Idioten
bei ihm. Wir hören uns, ja?«
»Danke, du bist ein Schatz.«
Jaja, sicher bin ich das.
Vor meinem Haus sehe ich mehrere Autos stehen. Was soll das? Da ist auch schon wieder das Auto meiner Eltern. Jessasmarandjosef. Und eine St. Pöltner Nummer. Ich gehe ins Haus. Eine junge Frau kommt auf mich zu und hält mir ein Schriftstück unter die Nase. Sie ist vom Jugendamt.
»Herr Fink, mein Name ist Schreiber, wir haben telefoniert. Sie wurden schon mehrmals von uns in Kenntnis gesetzt, dass es dazu kommen würde, falls Sie sich weiterhin weigern, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Diese Absicht Ihrerseits war Voraussetzung für die Erteilung des Sorgerechts an Sie. Ich frage Sie jetzt zum letzten Mal: Haben Sie sich darum gekümmert?«
Hinter ihr stehen aufgereiht meine Eltern, Opa und Oma und Sarah. Sarah weint schon wieder, Herrgott. Und dann kommt dieser Typ aus der Küche und Sarah sagt: »Cornelius, das ist Vincent. Mein Vater.« Ich nicke nur.
»Hören Sie, ich hab da einen Song geschrieben. Den kann ich Ihnen zeigen, den schicke ich morgen an alle Wiener Plattenfirmen. Sie werden sehen, die Major Labels werden sich darum reißen, der verspricht eine Menge Kohle.«
Mein Vater lächelt und schüttelt den Kopf.
»Ich habe meine traumatischen Erlebnisse in dem Song verarbeitet. Er heißt
Zeit der Idioten
. Und ich bin immerhin
der Mann, der überlebt hat
, verstehen Sie? Die Medien werden sich darauf stürzen …«
»Herr Fink, Sie wissen, ich wünsche Ihnen alles Gute, aber vor Gericht gilt diese Möglichkeit – und lassen Sie uns am Boden der Tatsachen bleiben, es ist nicht mehr als eine weitere, meiner objektiven Meinung nach eher unwahrscheinliche Eventualität – nicht als seriöser, regelmäßiger Broterwerb, der jedoch nötig ist, um für ein Kind zu sorgen.«
Mein Vater strahlt, dieser Arsch. Meine Mutter beißt sich dauernd auf die Unterlippe. Dann kommt Opa auf mich zu.
»Hören Sie, Fräulein. Ich hätte einen Job für ihn. Beim hiesigen Bäcker. Er könnte morgen anfangen. Ich habe heute erst mit dem Bäcker Vogelauer Hans gesprochen, der braucht dringend jemanden.«
»Na bitte, Herr Fink. Das ist ja eine gute Nachricht. Was sagen Sie?«
»Ich bin Musiker, Jessas! Ich meine, würden Sie morgen einen Job als Fleischhauerin annehmen? Seien Sie doch ehrlich.«
»Wenn die Umstände es erfordern würden, ja. Wenn das Sorgerecht für mein Kind davon abhängen würde, ja.«
Ich schaue Sarah an. Sie wirkt ziemlich wütend. Ich denke, ich habe in letzter Zeit meine Bonuspunkte bei ihr verspielt. Wenn das ein blöder Hollywoodkommerzfilm wäre, würden jetzt all unsere emotionalen Erlebnisse im Zeitraffer aufeinanderfolgen und dazu eine Ballade von Lionel Richie allen Idioten Tränen aus den Augen pressen. Aber nein, das Leben ist kein Film. Und dieser Typ da ist nicht ihr Vater!
»Jessasmarandjosef, dann nehm ich eben den scheiß Job!«, sage ich und gehe in die Küche, vorbei an den sechs Geschworenen. Die schütteln ihre Hände, nicken einander zu und sind allesamt scheinbar beruhigt. Wie schön für sie.
Das Leben ist ein Riesenarsch auf einer Anklagebank, und immer wenn du glaubst, du hast es endlich geschafft auszubrechen, war es wieder nur ein Furz. Das Leben ist ein kurzer, zynischer Furz. Und das ist auch schon der Höhepunkt, denn was den Alltag betrifft, die Normalität, dieses eingezwängte Hin und Her, dieses unkontrollierbare Durchschnittschaos, so ist das Leben nichts weiter als eine Blähung. Und wahrscheinlich ist dieser übelriechende Höhepunkt, dieser flatulente Orgasmus, dieser lächerliche Furz, dieses Ventil, das endlich all deinen aufgestauten Dampf ablässt, bereits der Tod. Heißt es nicht: Der Tod sitzt im Darm? All die Idioten, die dich dein Leben lang in ihren eigenen Fäkaltunnel zwängen wollen, schaffen es am Ende auch. Sie engen dich ein und drängen dich in Richtung Ausgang, und hassen dich oder lachen dich aus, wenn du dich nicht damit begnügen willst, wenn du nicht nach unten, sondern nach oben willst, weil du da oben so was wie ein Herz spürst oder ein Gehirn vermutest.
Habt ihr gewusst, dass sie früher bei Besessenen oder Geisteskranken Darmeinläufe gemacht haben, um die bösen Dämonen rauszulassen? Und könnt ihr euch erinnern, dass ich Bölling mit einer Riesensau verglichen habe? Ich habe das Gefühl, sie ist von ihren Bewohnern besessen, sie sind nur ein Haufen von idiotischen Dämonen, und die Sau hat dringend einen Darmeinlauf nötig.
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