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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Moshammer
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Jessasmarandjosef, Leute, das Leben stinkt!

11. EIN LICHT
    Es könnte aber dennoch passieren.
    Donnerstag, 23 Uhr. In drei Stunden beginnt mein erster Arbeitstag als Bäcker. Ich war heute schon bei einem Vorstellungsgespräch. Herr Vogelauer war höflich, konnte aber seine eher ablehnende Skepsis mir gegenüber nicht verbergen. Auch ich bin ehrlich gewesen. Ich habe ihm gesagt, dass ich das hier tun müsse, dass ich Musiker sei, keine Ahnung von Brot oder Semmeln und viel lieber Krapfen ohne Marmelade hätte. Er hat mich aber nicht verstanden. Er hat mir sein Leid geklagt. Die Böllinger Jugendlichen interessierten sich nicht für die Backkunst, die Jungen hätten allesamt völlig abgehobene Berufsvorstellungen, seien nur an Geld und Spaß interessiert, und niemand würde ihnen beibringen, dass man säen muss, bevor man erntet. Überhaupt sei es für einen einfachen Bäcker sehr schwierig geworden, seit jeder
Billa
sein eigenes Brot bäckt, Großbäckereien ihre Filialen im ganzen Land installieren, und für die Leute echte Qualität anscheinend bedeutungslos geworden ist. So was in der Art. Was soll ich sagen, der Mann hat mir aus der Seele gesprochen. Er hat Recht. Ich pflichtete ihm bei und schon hatte ich den Job. So läuft das also.
    Am Nachmittag bin ich dann bei Snake gewesen. Er hat alles sehr liebevoll vorbereitet, wirklich. Er möchte, dass ich auf einer seiner Gitarren spiele, einer Telecaster, kein Original, aber sehr gut. Er hat einen alten Fender Twin Reverb-Verstärker, den er mir leiht. Wir haben ein paar Songs gespielt, Kaffee getrunken und beinahe geplaudert. Ich habe mich fast normal gefühlt. An die Geschichte mit der Bombe habe ich nicht mehr gedacht. Ich denke, er ist in Ordnung.
    Dafür ist Andrea jetzt richtig hysterisch. Sie hat mich heute schon zweimal angerufen. Sie beobachtet Snake seit gestern. Er sitzt die ganze Nacht an seinem Schreibtisch, sagt sie. Arbeitet an irgendwas. Mit Bohrern oder Lötkolben. Im Hintergrund läuft laute Musik.
Outside of society
singt da einer andauernd. Ich habe ihr ganz ruhig erklärt, dass das ein Song von Patti Smith sei, den wir morgen spielen würden, dass der Text schwierig ist und Snake wahrscheinlich nur trainiert. Aber Andrea vermutet das Schlimmste. Sie nennt mich naiv. Habt ihr gehört? Ich, naiv. Der Mann, der überlebt hat, naiv. Ich glaube, sie hat einfach keine Ahnung, wie sie mit ihrer Beziehungskrise umgehen soll und projiziert ihre ganze Enttäuschung oder Wut oder Angst oder was immer es ist, das sie so aggressiv macht, jetzt auf Snake. Oder so. Ich bin ja kein blöder Psychologe. Aber Jessas, hat sie nicht sogar ihren Körper auf ihn draufprojiziert?
    Was meinen Song angeht, habe ich mich entschieden. Ich werde
Zeit der Idioten
morgen spielen. Der Text ist in Ordnung, vielleicht schreibe ich noch eine Strophe, lege die Musik einfach so dylanmäßig an, ein paar Akkorde im Kreis gespielt und den Text irgendwie auf einem Ton singend drübergenuschelt, ihr wisst schon.
    Dies ist die Zeit der Idioten,
der Pharisäer und Zeloten
.
    Irgendwie so. Da fällt mir schon noch was ein. Wer weiß, vielleicht wird jetzt alles gut. Zumindest habe ich das Gefühl, es kann nur besser werden. Es gibt einen Tiefpunkt, und wenn du den aushältst, dann geht’s wieder bergauf. Hoffentlich. Ich weiß auch nicht, irgendwie sehe ich ein Licht, irgendwo da vorne. Es blendet nicht gerade, aber was soll’s. Ich meine, ich hasse es, Bäcker werden zu müssen, aber der Vogelauer ist okay und so schlimm wird’s schon nicht sein. Ich weiß, ich klinge wie Opa, aber versetzt euch doch in meine Lage – was würdet ihr tun? Einfach alles wegschmeißen? Wie Bob? Ich bin kein Idiot! Ich darf zwar nicht an meine Alten denken und an die Genugtuung, die ich ihnen damit beschere, aber immerhin ist die Sache mit dem Sorgerecht somit geklärt. Und Sarah wird sich auch wieder beruhigen. Spätestens dann, wenn ihr Prinz sein Interesse an einem zwölfjährigen wunderbaren, schwierigen Wesen verliert, wird sie zu mir kommen und auf Knien um Verzeihung bitten. Und wie lange kann so was schon dauern – einen Monat, zwei Monate? Höchstens. Und der Herr Samenspender … um den kann ich mich nicht auch noch kümmern. Der wohnt bei Bob im Fiesta, obwohl Opa und Oma ihm ein Zimmer angeboten haben.
    Ich muss weg. Ich werde spazieren gehen und dann gleich hinüber zur Bäckerei. Ich könnte noch im Fiesta vorbeischauen, aber ich habe keine Lust, blöden Tauben beim Turteln Gesellschaft

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