Zeit der Sinnlichkeit
Cheapside mit seinen Sträßchen und Gäßchen verlassen hatten. Bis zum späten Nachmittag war eine große Schar von Leuten eingetroffen, und auf jeden, der weinte und klagte, kamen vier oder fünf, die lachten, Klatsch austauschten, Lieder sangen und ihr Essen mit den anderen in ihrer Umgebung teilten, ganz so, als wären sie frei von Alltagssorgen auf einem Picknickausflug. Aus Frances Elizabeths Küche waren sieben Gläser Pflaumen, ein paar Flaschen Ingwer
wein und ein weißer Käse in einem Musselinsäckchen gerettet worden. Daraus und aus Lebensmitteln, die uns im Tausch dafür gegeben worden waren, bestand nun unser Abendessen, und wir fingen an, mit allen um uns herum augenblicklich Freundschaft zu schließen.
Wir redeten und aßen bis spät in die Nacht hinein, als der ganze Himmel noch einmal vom Feuer erhellt wurde, und all das war – auf höchst merkwürdige Art – recht vergnüglich. Gegen zwei oder drei Uhr morgens hörte ich, wie Finn jedermann ringsum erzählte, daß er Portraitmaler sei, und anbot, an Ort und Stelle Portraits für fünfundzwanzig Shilling zu malen, ungeachtet der Tatsache, daß nicht einer von diesen Leuten auch nur eine einzige Wand besaß, an die er es hängen konnte. Als ich sah, daß sein Geschäftssinn jetzt auch im Unglück so ausgeprägt war, mußte ich lächeln, und ich glaube, daß ich mit diesem Lächeln auf den Lippen einschlief.
Am folgenden Morgen schied ich von Finn und Frances Elizabeth. Da weder das Schreibpult noch das Rollbett Lincoln's Inn Fields erreicht hatten, blieb mir nichts anderes übrig, als all die Gegenstände, die sie auf Danseuse geladen hatten, neben sie ins Gras zu legen, und ihr Anblick inmitten von halbvollendeten Portraits, kupfernen Pfannen und Schuhen wäre sicher ein etwas trauriger gewesen, wenn sie nicht selbst so viel Fröhlichkeit an den Tag gelegt hätten. Ich hatte erwartet, daß sie der Verlust des Hauses in Cheapside in Verzweiflung stürzen würde, doch das war nicht der Fall. Sie schienen entdeckt zu haben, daß es nicht nur sie und ihre kleinen, gerade flügge gewordenen Geschäfte beherbergt hatte, sondern auch ein Hafen für ihre Zuneigung gewesen war. Als ich sie verließ, war ich sicher, daß ich sie irgendwo einmal zusammen wiederfinden würde, und ich stellte mir vor,
wie sie in einem niedrigen Raum, der nach Ölfarbe roch, nebeneinander im Bett lagen und ihre Berechnungen anstellten.
Es kostete mich den ganzen Tag, das Feuer zu umgehen, da ich so weit wie möglich nach Norden ritt, um dem Rauch auszuweichen. Am Abend endlich hatte ich den Tower erreicht und konnte von dort aus sehen, daß die Gruppe großer Häuser, unter denen auch das Haus des Geldverleihers war, noch stand und vom Feuer unberührt geblieben war. Ich flüsterte ein Dankgebet in die heiße Luft.
Als ich am Haus ankam, begrüßte mich der Geldverleiher an der Tür, und ich ging mit ihm in sein Geschäftszimmer, wo er mir ein paar neue Waagen und Gewichte zeigte, auf die er sehr stolz war. »Genauigkeit«, sagte er, »ist meine große Leidenschaft, denn es kann doch alles auf dieser Welt irgendwie gewogen und gemessen werden, ist es nicht so?«
Ich wollte gerade den Mund aufmachen, um zu sagen, daß ich das nicht so ganz glaube, als seine Frau mit Margaret auf dem Arm hereinkam. Diese war hellwach und diesmal nicht zu einem Windelpaket zusammengeschnürt wie beim letzten Mal; sie trug eine hübsche Haube und war in ein Tuch eingeschlagen.
Die Amme erzählte von dem Feuer, und daß sie und ihr Mann und alle Kinder in einer langen Reihe niedergekniet seien und gebetet hätten, daß sich die Windrichtung nicht ändern möge. Während sie sprach, legte sie mir Margaret in den Arm. Es war das erste Mal, daß ich sie hielt, ja, daß ich überhaupt einen Säugling im Arm hatte, und ich wußte daher nicht, ob ich Margaret in meine Armbeuge oder ihr kleines Gesicht über meine Schulter legen sollte, oder was sonst richtig war. Also setzte ich mich auf den harten Stuhl, auf dem
sonst die Kunden des Geldverleihers saßen, legte sie in meinen Schoß und sah sie an. Sie war sehr gewachsen, und ihr Gesicht war rund und pausbäckig. Ich entdeckte nun, daß ihre Augen sehr groß und klar waren; sie sah mich eine Weile ernst an und begann dann, im Schal zu strampeln und kleine Schaumblasen aus ihrem Mund zu pusten.
»Seht Ihr ihr Haar, Sir?« fragte die Amme nach einiger Zeit. »Es hat die Farbe des Feuers.« Sie beugte sich nieder und schob behutsam den Rand des
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