Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
Margaret zurück
    W eder Frances Elizabeth noch Finn glaubten, daß das Feuer Cheapside erreichen würde, denn zwischen Cheapside und dem Flammenmeer war durch hastiges Niederreißen von Häusern, so wie es der König angeordnet hatte, eine dreißig oder vierzig Fuß breite Bresche geschlagen worden. Nahezu alle, die westlich davon lebten, bildeten sich ein, in Sicherheit zu sein.
    Am Montag morgen ging ich hin und sah mir die Bresche an. Dann schaute ich hinauf in die Luft über dem Feuer und sah, daß noch immer brennende Teile hochgeschleudert und vom Wind weitergetrieben wurden, und da wußte ich, daß die Flammen die Lücke überqueren und zu uns kommen würden.
    Ich kehrte zum Haus zurück und sagte zu Finn, er solle schon einmal anfangen, seine Leinwände zusammenzupacken, und zu Frances Elizabeth, sie solle ihr Schreibpult herunterholen und für dieses und alles andere, was sie retten wollte, um etwas Platz auf dem Wagen eines Nachbarn bitten. Doch sie schenkten mir keine Beachtung.
    »Warum ist die Bresche geschlagen worden, wenn sie uns nicht schützt?« fragte Finn töricht. Ich antwortete ihm nicht. Ich ging in die Wohnstube, wo Frances Elizabeth, wie jeden Morgen, in aller Ruhe das Feuer schürte, holte mein Chirurgiebesteck hervor, reinigte es und legte jedes einzelne Instrument sorgfältig in den Kasten zurück. Dann verstaute ich in einer großen Schachtel alles, was ich an Pulvern und Heilmit
teln, Mull und Verbänden im Hause hatte. Ich brachte diese Sachen in den Stall und band sie Danseuse auf den Rücken. Dann ging ich in mein Schlafzimmer und zog unter meinem Bett den Sack mit meiner Oboe, den Briefen vom König und den anderen Überbleibseln meiner »glühenden Kohlen« heraus. Ich packte meine neue Kleidung und Perücke dazu – alles war jetzt rauchgeschwärzt und schweißbefleckt – und befestigte auch diesen Sack am Sattel meines Pferdes.
    Dann kam ich wieder zu Finn und Frances Elizabeth und sagte: »Ich gehe jetzt Margaret suchen und will mich daher verabschieden.«
    Sie sahen mich beide entgeistert an. »Soll das heißen«, fragte Finn, »daß du nicht zurückkommst?«
    »Ja, Finn, so ist es«, antwortete ich, »denn es wird kein Haus mehr geben, zu dem ich zurückkommen kann.«
    Kurz nachdem ich das gesagt hatte, fiel das erste brennende Stückchen auf ein Haus in Cheapside, und die Kunde lief von Haus zu Haus: »Cheapside ist verloren! Rettet, was ihr könnt, und dann nichts wie weg! Wendet euch nach Westen, aber beeilt euch, denn das Feuer ist sehr schnell.«
    Nun war wohl nirgends in London die Panik größer als in unserem Haus, denn Finn und Frances Elizabeth waren plötzlich fest entschlossen, in keinem Zimmer auch nur eine Kleinigkeit zurückzulassen. So konnte ich nicht weggehen, wie ich es vorgehabt hatte, sondern holte mein Pferd und ließ es zu, daß sie es wie einen Maulesel bepackten, mit Leinwänden, Pinseln, Kochtöpfen, Lebensmittelsäcken, Kleidern und ich weiß nicht was noch allem. Wenn ich ihnen nicht Einhalt geboten hätte, dann hätte Finn sein Rollbett und Frances Elizabeth ihr Schreibpult aufgeladen, denn sie konnten keinen Wagen dafür finden, und selbst als das Feuer bedrohlich
näher rückte, klammerten sich die beiden an diese Sachen und wollten sie nicht hergeben. Als wir uns schließlich mit Danseuse, die unter ihrer schweren Last schwankte, auf den Weg machten, versuchten sie, diese hinterherzutragen, und lange Zeit noch hörte ich sie hinter mir schnaufen und ächzen und zueinander sagen: »Wir schaffen es, wir schaffen es.«
    Wir waren mitten in einer großen Menschenmenge und mußten mit dieser laufen, wenn wir nicht überrannt und niedergetrampelt werden wollten. Dennoch blieb ich einmal für einen kurzen Augenblick stehen und schaute zurück, und da sah ich, daß sich das Feuer vom Dach unseres Hauses nach unten ausgebreitet hatte und daß nur noch die Vordertür mit den drei Schildern in ihrem Rahmen dastand. Dieser Anblick ging mir näher, als ich es erwartet hätte. Ich hatte geglaubt, diesem Ort mehr oder weniger gleichgültig gegenüberzustehen, doch das war nicht der Fall. Plötzlich fiel mir ein, daß ich eines meiner kostbaren Besitztümer vergessen hatte, das nun mit dem Haus zu Asche verbrannte, und zwar Pearces Exemplar des De Generatione Animalium , das einzige Andenken an ihn, das ich noch gehabt hatte.
     
    Als wir zu den Lincoln's Inn Fields kamen, hielten wir an und setzten uns in das trockene Gras, zusammen mit all den anderen, die

Weitere Kostenlose Bücher