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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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mir nichts anderes übrigblieb, als weiterzureiten, nach Norden, dann nach Osten, dann wieder nach Norden. Ich versuchte, aus dem Brandgeruch zu schließen, ob ich um das Feuer herum- oder noch darauf zuritt, und suchte in jeder engen Straße nach einem Namen oder Grenzstein, um festzustellen, wo ich war.
    Ich wollte gerade erneut nach Norden abbiegen, als ich genau vor mir einen heftigen Tumult wahrnahm. Dann sah ich durch den Rauch, daß eine einzelne Flamme auf ein Hausdach gefallen war und diese plötzliche, schreckliche Panik unter den Leuten ausgelöst hatte. Sie rannten aus den Häusern auf die Straße und sahen zu der Flamme hinauf, die nun anfing, sich den Dachvorsprung entlang weiterzufressen. Dann liefen sie wieder hinein, um ihre Kinder und Besitztümer zu retten, bevor das Feuer auch ihre Häuser erreichte. Sie hatten es nicht so früh erwartet, denn die breite Feuerfront war noch viele Straßenzüge weit entfernt. Doch ein brennender Gegenstand – ein Notenblatt, ein Hut mit einer Feder oder etwas Ähnliches – war vom Himmel herunter auf dieses eine Haus gefallen. Ich stellte mir vor, daß sich das Feuer überall so ausbreitete, vom Wind auf Seidenstückchen, Liebesbriefen oder Spitzenkragen dahingetragen, um dann zufällig irgendwo wirbelnd, springend oder schwebend herunterzukommen und sofort etwas Brennbares zu finden.
    Diese Straße befand sich in einer dermaßen katastropha
len Lage, daß ich es nicht fertigbrachte, vor der Not dieser Menschen die Augen zu verschließen. Vielleicht hätte ich es getan, wenn ich schon in der Nähe des Hauses des Geldverleihers gewesen wäre, doch ich war noch weit, sehr weit davon weg und sah jetzt ein, daß es vergebliche Mühe war, zu Margaret gelangen zu wollen. Es war von Anfang an zu spät dafür gewesen. Meine Tochter war entweder schon gerettet oder aber in ihrer Holzkrippe verbrannt. Ich konnte das, was bereits geschehen war, nicht mehr ungeschehen machen. Daher entschloß ich mich abzusteigen. Ich band Danseuse an einen Pfahl, zog meinen Rock aus und machte mich daran, nach besten Kräften mitzuhelfen, die irdischen Güter der Leute zu retten und sie auf Wagen und Karren zu häufen. Ich ging dabei in die Wohnungen von Fremden und holte heraus, was ich tragen konnte: Stühle, Kerzenständer, Bilder, Kissen, Haufen von Bettzeug, Nachttöpfe, Tintenfässer und Spielzeug.
    Dann wurde ich mir zum ersten Mal der näher kommenden Hitze des Feuers bewußt. Für einen Augenblick stand ich still auf der Straße, wischte mir den Schweiß von der Stirn und beobachtete, wie das Dach des Hauses nun auch in Brand geriet.
    Meine Blicke wanderten abwärts, weil ich sehen wollte, wie und wo und wie schnell das Feuer vorankommen würde, und da sah ich über der Tür ein Eisenschild, das im Wind klapperte und auf dem geschrieben stand: Arthur Goffe Esquire. Putzmacher und Kurzwarenhändler. Doch ich sah noch etwas anderes. Ich sah auch, daß die Tür dieses Hauses verschlossen war und daß es das einzige in der ganzen Straße war, wo es kein Kommen und Gehen von Leuten gab, die Kleider und Möbel bargen.
    So warf ich also alles hin, was ich gerade in den Händen
gehalten hatte (ich weiß weder, was es war, noch, ob ich es beim Wegschleudern zerbrach), rannte zum Haus des Kurzwarenhändlers und schlug laut schreiend an die Tür; doch ich bekam keine Antwort. Ein anderer Mann hörte daraufhin auf, sein eigenes Hab und Gut zu retten, und kam zu mir. Auch er sah nun, was los war: daß nämlich ausgerechnet in dem Haus, wo das Feuer ausgebrochen war, die Leute noch schliefen. Er holte von seinem vollgeladenen Wagen eine Axt und schlug ein paarmal so heftig auf die Tür ein, daß diese aus den Angeln flog. Wir stiegen über sie hinweg und gingen hinein, waren aber sogleich von einer tiefen Finsternis umgeben, die so voller Rauch war, daß wir, noch bevor wir die Treppe erreicht hatten, von einem widerlichen Würgen und starker Übelkeit gezwungen wurden, umzukehren und wieder auf die Straße hinauszulaufen.
    »Wer ist da drinnen?« fragte ich den Mann, der in die Gosse spuckte. »Wie viele Leute?«
    »Nur sie, Sir.«
    »Wer?«
    »Goffes Frau.«
    »Nur sie?«
    »Ja. Der Kurzwarenhändler ist nach Frankreich gefahren, um einen speziellen französischen Faden oder so was zu kaufen.«
    »Wir können sie nicht sterben lassen. Wir müssen noch einmal hinein!«
    »Wir kommen nicht durch zu ihr bei diesem Rauch. Wir sterben selbst.«
    »Nein. Wir müssen es noch einmal versuchen. Wenn

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