Zeit der Sinnlichkeit
Rußlandvision gibt es keine Statuenfragmente, der Frost hat alles zerbersten lassen.
Ich öffnete die Studiotür. Das Licht kam mir an diesem Morgen nördlicher und kälter vor als je zuvor, doch Finn trug nicht sein zerlumptes Grün, die Kleidung eines Geächteten, sondern ein Gewand aus schimmerndem Purpur und Gold, hatte hübsche Schnallenstiefel an den Füßen und – was am allermerkwürdigsten war, so daß ich ihn dadurch fast nicht wiedererkannte – eine blonde Perücke auf dem Kopf.
»Mein lieber Finn!« rief ich aus.
Der Künstler lächelte, und seine Wangen, die ansonsten noch etwas ausgemergelt und unterernährt wirkten, röteten sich.
»Einen schönen guten Morgen, Sir Robert«, sagte er. »Wie ich sehe, habt Ihr eine gewisse Veränderung in meiner äußeren Erscheinung bemerkt.«
»Diese würde wohl niemandem in Norfolk entgehen, Finn«, erwiderte ich. »Und aus ihr schließe ich auf einen gewissen Wohlstand.«
»Nun«, sagte Finn, »ich habe zwar noch nicht die Stelle bei Hofe, die ich mir so aus tiefstem Herzen wünsche, glaube aber, daß sie mir ziemlich sicher ist, denn der König hat mir einen Auftrag erteilt.«
»Aha. Dann habt Ihr also endlich eine Audienz bei Seiner Majestät gehabt?«
»Ja. Eine kurze, das gebe ich zu, aber immerhin eine Audienz.«
»Bravo, Finn!«
»Nachdem ich viele Tage und Nächte die Gänge von Whitehall frequentiert hatte und man mir schließlich riet, mich neu einzukleiden, wenn ich vorgelassen werden wollte.«
»Daher also diese elegante Kleidung?«
»Ja. Sie kostete mich meinen letzten Penny, mir blieb nur noch das Geld für die Fahrt mit der Kutsche von London nach Norfolk übrig. Ihr seht also einen Armen vor Euch. Ich besitze nichts mehr auf dieser Welt, Sir Robert, nicht einen einzigen Penny.«
»Aha. So seid Ihr also gekommen, um Eure Rolle als mein Lehrmeister wiederaufzunehmen, oder soll ich Euch ins Armenhaus einweisen?«
Da Finn von meiner Unterredung mit Richter Hogg nichts wußte, konnte er meinen kleinen Scherz natürlich nicht verstehen. Daher lächelte er auch nicht, sondern fuhr mit ernster Miene fort:
»Ein Gemälde«, sagte er, »ein Gemälde liegt zwischen mir und einer Stelle bei Hofe.«
»Aha«, sagte ich, »und was für ein Gemälde soll das sein?«
Als Antwort griff Finn mit seiner dünnen Hand in seine mit Borten besetzte Tasche und holte einen Pergamentfetzen heraus, der so knittrig und abgegriffen war wie ein Liebesbrief, der Tag und Nacht herumgetragen worden ist. Er überreichte ihn mir und bat mich, ihn zu lesen. Ich erkannte sofort die elegante Handschrift des Königs und las dann die folgenden Worte:
»Mit diesem Schreiben wird einem gewissen Elias Finn, Maler, ein Auftrag wie folgt erteilt: das Anfertigen eines edlen und schönen Portraits von Celia Clemence, Lady Merivel, auf dem Landsitz Bidnold in der Grafschaft Norfolk. Dieses Portrait soll nicht später als am zwölften Tage des Februar 1665 vollständig und bis ins Detail ausgearbeitet abgeliefert werden. Es soll nicht größer als fünfundzwanzig Zoll carrés sein, so daß es bequem in Unser Kabinett paßt. Dieses Portrait, wenn für wohl ausgeführt und hübsch befunden, bringt dem Künstler die Summe von sieben Pfund ein. Wenn für ganz ausgezeichnet und sehr ähnlich befunden, verspricht es dem Künstler eine kleine Stelle bei Hofe.
Gezeichnet
Charles R.«
Ich sah Finn an, der jetzt ein unerträgliches Grinsen auf dem Gesicht hatte. Während ich ihm das Papier zurückgab, fühlte ich wilden Zorn in mir aufsteigen. Die freudige Erregung, die ich beim Gedanken an mein Russenbild empfunden hatte, war wie weggeblasen. Jetzt würde ich gezwungen sein, diesem armen Künstler – um den König nicht zu verärgern – Kost und Logis zu gewähren, und er würde viele Stunden in Celias Gesellschaft verbringen, sie mit dummen Fächern und
Stoffdrapierungen schmücken und über ihrem Kopf einen pausbackigen Cherub hinklecksen. Für seine Anstrengungen würde er dann nicht nur Celias Bewunderung, sondern auch eine Stelle in Whitehall bekommen, und ich würde mich weiter allein mit meiner Oboe abmühen müssen, noch immer vom Hofe verbannt und ohne jede Aussicht, von meiner Frau je etwas anderes als Verachtung zu bekommen, außer vielleicht in so seltenen Augenblicken wie in jener Nacht des unglücklichen Ablebens meines Vogels, als sie so verzweifelt gewesen war. Alle Sympathie, die ich für Finn empfunden hatte, schwand dahin. Ich verachtete und
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