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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Winter ertragen. Bestimmt ist es ihr Blut, das mich so empfindlich auf das Wetter reagieren läßt.
    Meg traf mich am Fenster kniend an und dachte offenbar, ich bete, denn sie sagte kühl und gereizt: »Gebete werden Euch nicht retten, Sir Robert.«
    »Ich bete nicht, Meg«, sagte ich, »sondern suche die Umgebung nach meinem Pferd ab.«
    »Euer Pferd ist im Stall«, sagte sie kurz, stellte eine Kanne Kaffee und einen Teller Apfel-Beignets auf den Tisch und ging wieder hinaus, wobei jedes ihrer Worte und jede ihrer Bewegungen größte Mißbilligung ausdrückten. Ich blieb wie ein Büßer am Boden knien. Mein Leben ist schon eine sehr konfuse Angelegenheit, sagte ich mir.
    Da ich an diesem Morgen bei Meg keine Vergebung und kein Entgegenkommen fand, blieb mir nichts anderes übrig, als nach Hause zurückzukehren. Wohl fühlte ich mich von dem Kaffee und den Beignets ein wenig belebt und auch mächtig froh, daß mein Pferd durch meine Vernachlässigung nicht umgekommen war, aber ansonsten war meine Stimmung im Einklang mit dem Wetter. Der Gedanke heimzureiten, wo ich Finn mit seiner grotesken Perücke antreffen würde, war mir so unangenehm, daß ich in Erwägung zog, mich geradewegs nach Bathurst Hall zu begeben, doch mußte ich feststellen, daß mich die Erinnerung an Violets Fest und die Scherze über meine schmachvolle Rolle als Hahnrei noch immer schmerzten. Außerdem fühlte ich überhaupt kein Verlangen nach Violet, da ich ihr Benehmen und ihre derbe Sprache jetzt unerträglich vulgär fand. So blieb mir eigentlich nichts anderes übrig, als nach Hause zurückzukehren, und während meines Rittes nahm ich mir vor, meinen Körper mit Seife und heißem Wasser zu besänftigen und dann Celia zu überreden, allein für mich zu singen – für Finn würde ich mir eine mühsame Aufgabe (wie das Spannen von Leinwänden) ausdenken, und den Reifrock würde ich in sein Zimmer verbannen.
    Als ich mit meinen Gedanken so weit gekommen war, fand
ich mich an der Stelle wieder, wo ich die armen Leute gesehen hatte, die nach Anmachholz herumgekrochen waren. Ich zügelte Danseuse und blickte mich um. Doch nichts rührte sich: Da war nur der stille Regen und das Tropfen von den Bäumen.
    Ich stieg ab und band die Stute an eine spindeldürre Esche. Rechts des Weges war ein kleiner Wald, links davon Gemeindeland, wo die Häusler von Bidnold ihre Schafe und Ziegen weiden ließen. Irgendwie ahnte ich, daß ich die beiden Alten nicht suchte, weil ich etwas von ihnen wollte oder die Absicht hatte, sie einer der drei Kategorien des Richters Hogg zuzuordnen, sondern weil ich ihnen Auge in Auge gegenüberstehen und sehen wollte, in welchem Stadium des Elends und der Verzweiflung sie sich befanden. In der herannahenden Dunkelheit – einer der beiden Armen hatte eine kleine Laterne in der Hand gehalten – hatte ich den Eindruck gewonnen, daß diese Leute mit ihren ausgemergelten Gesichtern und verängstigten Augen in schrecklicher Not waren. Ich hatte solch arme Leute schon in größerer Anzahl in London gesehen, ohne daß es mich berührt hätte, doch der Anblick dieser zwei, eines Mannes und seiner Frau in Lumpen, war mir immerhin so nahegegangen, daß ich auf der Suche nach einer Hütte, in der sie vermutlich wohnten, in den Wald hineinlief.
    Ich fand nichts. Im Wald rührte sich kein Lüftchen, man konnte sich kaum vorstellen, daß hier je ein Lebewesen geatmet hatte. Nachdem ich mir die Strümpfe an ein paar Dornenbüschen zerrissen hatte, gab ich die Suche auf und ging zu meinem Pferd zurück. Als ich es wieder bestieg, sagte ich mir, daß ich, wenn ich in Not wäre, auch nicht die Aufseher mit ihren Perücken und ihrer lüsternen Eleganz aufsu
chen, sondern mir große Mühe geben würde, mich vor ihnen auf alle nur erdenkliche Art zu verstecken.
     
    Auf Bidnold arbeitete Finn, ganz wie ich befürchtet hatte, an diesem verteufelten Portrait.
    Celia war in einem Kleid aus cremefarbenem Satin auf eine Ottomane gesetzt worden (die ohne meine Erlaubnis aus dem Ruhezimmer entfernt und in die Nähe des Studiofensters gestellt worden war). Sie hielt eine Laute auf ihrem Schoß, und neben ihr saß ihr zitternder Spaniel Isabelle.
    »Finn«, sagte ich, »Ihr habt meine Frau in den Durchzug gesetzt. Seht doch, wie der Hund vor Kälte zittert.«
    Zu meiner Freude sah der Künstler für einen Augenblick bestürzt aus, doch Celia teilte mir, ohne ihre Pose auch nur im geringsten zu verändern, brüsk mit, daß sie überhaupt nicht

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